Gestern wurde ich zu unserer mutigen Entscheidung beglückwünscht, ein Boot in Auftrag zu geben. Mutig? … na ja.
Um ehrlich zu sein, unsere ‚Rüm Hart‘ ist ein gutes Beispiel für Projekte und Lebensphasen, die sich rückblickend, also in der Erinnerung, vor allem durch eines auszeichnen: Zweifel. Damit meine ich nicht Fragen wie Bugstrahlruder ja oder nein? Grau oder Weiß? Pinnen- oder Radsteuerung? Das sind noch die harmloseren Überlegungen, Abwägungen und zu entscheidende Details, bei denen es zunächst darum geht, sich sachlich und nüchtern über die Vor- und Nachteile im Klaren zu werden und sich so eine Faktenlage zu schaffen.
Andere Qualitäten – und damit schon eher den Status ‚Zweifel‘ – bekommen grundsätzliche Fragen wie: Ist es richtig so viel Geld für ein Boot auszugeben? Ist es richtig das jetzt zu tun? Haben wir den richtigen Partner / die richtige Werft? Was halsen wir uns mit einem eigenen Boot auf, das sich am Ende des Charterurlaubs nicht einfach zurückgeben läßt? Oder auch: was mute ich Sigrid damit zu, kann ich das verantworten?
Alle diese Fragen entscheiden wir, ohne ihre Antworten zu kennen. Ja, ohne die geringste Chance zu haben, die Antworten vorab wirklich zu wissen. Trotz nagendem Zweifel eine Entscheidung zu treffen, dazu gehört eine bestimmte Haltung und Lebenseinstellung. Eine Mélange aus Fatalismus, Optimismus, Naivität, Mut, Realismus, Neugierde, Zielstrebigkeit, Egoismus, … Kennt jemand noch mehr Zutaten?
Immer wieder begegnen mir Menschen, die straight und ohne zu zucken ihre Entscheidungen durchziehen und dabei scheinbar nicht von geringsten Zweifeln geplagt werden. Beneidenswert. Und bemerkenswert. Weil die Exemplare, die ich dabei vor Augen habe, durchaus zu den geschäftlich Erfolgreichen gehören. Allerdings – und auch das fällt mir auf – nicht immer zu den privat Erfolgreichen. Ob das empirisch belastbar ist? Keine Ahnung, aber nicht jeder Mensch scheint sich zum Zweifeln zu eignen. Oder ist es nur so, dass Zweifel zwar höchst menschlich, aber nicht gesellschaftsfähig sind und also besser im Oberstübchen bleiben? Haben die keine, oder gehen die nur anders damit um? Ist es mannhafte Entschlussfreudigkeit, oder Angst am Zweifel zu verzweifeln?
Ist mir eigentlich auch egal. Für mich gilt eher, dass Zweifel und Entscheidungsmut sich gegenseitig kontrollieren und im Zaum halten – auf dass aus Mut nicht Übermut werde. Okay, manchmal sind sie schon eine Belastung. Aber sie sind nun mal vorhanden und scheinen mir eine gute Voraussetzung für soziale Kompetenz, Befähigung zur (Selbst-)Reflexion und gesunde Kritikfähigkeit zu sein. Oder umgekehrt?
Auf jeden Fall: Zweifel machen glücklich – wenn’s am Ende gut geht.
Nachtrag vom 13. April 2011:
…
Da sind die Unbedenklichen, die niemals zweifeln.
Ihre Verdauung ist glänzend, ihr Urteil ist unfehlbar.
Sie glauben nicht den Fakten, sie glauben nur sich, Im Notfall
müssen die Fakten d’ran glauben.
Ihre Geduld mit sich selber
ist unbegrenzt, auf Argumente
hören sie mit dem Ohr des Spitzels.
…
aus ‚Lob des Zweifels‘ von Bertolt Brecht – entdeckt bei Freunden
Auch mich plagen manchmal Zeifel, besonders, was das Boot anbelangt: wird mir das (häufige) Segeln wirklich wieder Spaß machen, schaffe ich es meine Angst zu überwinden, werden noch Zeit und Geld für andere Reisen übrig bleiben? Vor allem Letzteres solltest auch du nicht komplett dem Boot unterordnen. Deswegen: fahr mit deiner Truppe nach England – alles andere findet sich!
LG, dein Safety Officer
Diese Gedanken bringen mich auf die Frage: Ist Zweifeln ein Zeichen von Reifen? Oder gar nur von Altern? Auf jeden Fall beobachte und erlebe ich, dass es mit wachsendem Altern keinesfalls weniger auftritt, sondern beständig mehr. Bleibt die Frage, wann wir (über)reif sind oder völlig ver-zweifelt?
Grundsätzlich gilt mit jeder Entscheidung für etwas ist eine Entscheidung gegen etwas verbunden. Das fällt eben immer schwerer auszuhalten.
Soviel noch um diese Zeit!
Die große (alte) Schwester
Deine Zweifel solltest Du Dir lassen. Sie sind gut und richtig, und ich würde sie eher als ein „Hinterfragen“ bezeichnen, ein „Hinterfragen“, das mit steigendem Alter wächst. Warum? Weil unser Erkenntnisschatz auch wächst und dem „Hinterfragen“ immer mehr Sinn gibt. Denn es ist doch positiv zu sehen, weil nur das „Hinterfragen“ Raum gibt für neue Erkenntnisse und neue, evtl. bessere Problemlösungen.
Viel Glück weiterhin bei Eurem Projekt und ein Danke für die offene Beschreibung.
LG, Wolfgang
Da fällt mir doch gleich und unversehens, im thematischen Felde aber doch sogleich auch zweifelnd, ob der Einfall, so gänzlich aus dem Kontext, nicht aber aus der Luft gerissen, tragfähig ist –
da fällt mir also mir-nichts-Dir-nichts dieser Zentnersatz des italienischen Journalisten und Marxisten Antonio Gramsci ein, der eigentlich eine Imperativ ist, welcher auf dialektisches, also in Widersprüchen sich bewegendes und die Praxis einziehendes Denken zielt, das Brecht – in Distanz zum bürgerlichen „Filosofen“ -„eingreifendes Denken“ nennt.
Gramsci also empfiehlt: „Pessimismus des Gedankens, Optimismus der Tat“.
Nu kür Du!
Lieber Bernd
Nachdem ich mit dem Sezieren deines Kommentars fertig war, kam das Verstehen. Hat – obwohl der Sinn doch so kurz – lange gedauert. Aber jetzt erkenne ich: der linke Recke bringt es aufn Punkt.
Howgh, ich habe gekürt!
😉
„… und kurz nur betrachtete der Apatsche den Stein, dessen Oberkante trotz der unbarmherzigen Sonne Spuren des feuchten Erdreichs aufwies. Dann glitt er in einer fließenden Bewegung auf den Rücken seines Rappen, wandte das Pferd gen Westen und folgte der Spur…“
(Musik setzt ein: Martin Böttchers „Winnetou-Melodie“).