Wilfried Erdmann

In meinem Eintrag vom 4. Dezember übers Einhandsegeln hatte ich es bereits angekündigt: ich möchte von Wilfried Erdmann erzählen. DER deutsche Segler, an den ich zuerst denke, wenn vom Einhandsegeln die Rede ist. Fangen wir mit wenigen „technischen Daten“ an: Baujahr 1940 (sorry, der Autohändler in mir …), langjährig verheiratet mit Astrid (eine ebenso begeisterte Seglerin, leider mit Seekrankheit geschlagen), bislang 4 Weltumsegelungen – davon 3 allein – davon 2 nonstop, viele weitere Segelreisen kommen hinzu, sehr häufig in Begleitung seiner Frau Astrid. Viel mehr und viel mehr Details kann man auf seiner Homepage www.wilfried-erdmann.de nachlesen. Lohnenswert!

Meine Sicht auf ihn hat mehrere Aspekte:

Ignoranz der Öffentlichkeit

Als er im Mai 1968 auf Helgoland nach über 30.000 Seemeilen seine Solo-Weltumsegelung beendete, war er der erste Deutsche, der diese Leistung vollbracht hatte – und war prompt unter die Zweifler und Skeptiker geraten. Man glaubte ihm seine Geschichte schlicht nicht. Erst als er einer Abordnung des Deutschen Segler Verbandes seine Fotos, seine Logbücher, Hafen- und Einklarierungsformulare, ja sogar die Briefe an seine damalige Freundin Astrid vorlegte, dämmerte den Offiziellen so allmählich, dass hier ein „junger Wilder“ einfach so, nämlich ohne großes Presse-Tamtam, ganz ohne Eigenmarketing eine große Nummer hingelegt hatte. Sogar Muschel- und Bewuchsproben hatte man heimlich vom Rumpf seines Schiffes abgekratzt und sie labortechnisch auf ihre Herkunft hin analysiert. Erst danach stand fest: Deutschland hat einen Segelhelden. Und was machte das 68er Deutschland daraus? Nichts! Null! Keine Ehrung, kein Empfang, keine Medaille, kein Orden. Deutschland war anderweitig beschäftigt. Man schaue mal vergleichsweise auf die großen Segelpioniere anderer Nationen wie Frankreich oder England …

Allein gegen den Wind – eine unglaubliche Leistung

Eine noch wesentlich größere Leistung lieferte er 2000/2001 ab, als er den Globus erneut, mittlerweile zum vierten Mal und zum zweiten Mal nonstop, umrundete. Jetzt allerdings, im Gegensatz zu 1984/85, „verkehrt“ herum. Gegen die üblichen globalen Wind- und Meeresströmungen. 343 Tage allein auf See, Kap Hoorn und alle anderen Kaps, Stürme, Orkane, Südpolarmeer, 18m-Wellen, Rippenbruch, Überlebenskampf, Depressionen und – ja – Hunger! Er hatte sich mit seinem Proviant verkalkuliert und musste sich buchstäblich nach Hause hungern. Ich erinnere mich noch gut an die Passage in seinem Buch „Allein gegen den Wind“, mit Auszügen aus seinem Logbuch, in denen er verzweifelt und deshalb eindringlich die zermürbenden Versuche beschreibt, das Kap der guten Hoffnung zu runden, weil ihn die vorherrschende Strömung immer wieder an die alte Stelle zurückbefördert. 14 Tage hat ihn allein die Südspitze Afrikas aufgehalten.

Diesmal war der Empfang in Cuxhaven großartig. Ich glaube viele hundert, wenn nicht gar tausend begeisterte Menschen, die so wie ich monatelang seine mehr oder weniger regelmäßigen Internetmeldungen verfolgt hatten, bereiteten ihm einen lauten und herzlichen Empfang. Recht so! Er ist der fünfte Mensch weltweit, der diese (Tor-)Tour im Kielwasser hat.

(Einen guten Eindruck von seiner Solotour verschafft dieser LINK zu Spiegel-online mit einer kleinen Diaschau und einer Kurzbeschreibung von Wilfried Erdmann.)

Seine Schreibe

Wilfried Erdmann hat einen Haufen Bücher veröffentlicht. Einen Großteil davon habe ich gelesen. Die Geschichten seiner Weltumsegelungen sind eindrucksvoll, faszinierend. Ich empfinde Achtung vor seinen Leistungen, vor allem vor seinem Durchhaltevermögen und seiner offensichtlichen mentalen Stärke. In ganz besonderem Maße hat mich die ungeschönte Offenheit eingenommen, mit der er in „Allein gegen den Wind“ von den psychischen Hochs und Tiefs, von merkwürdigen Verhaltensweisen erzählt, die er nach monatelanger sozialer Abstinenz an sich selbst beobachtete. Ganz abgesehen von den körperlichen und mentalen Strapazen, die nicht nur brachiale Stürme, aber auch tagelange Flauten mit sich bringen. Ich bin kein Hochseesegler, aber seine Schilderungen – auch in der gleichnamigen DVD – lassen erahnen, was da draußen los sein kann. Seine sehr offene und ehrliche Erzählweise hinterlässt Eindruck.

„Kurzreisen“

Mehr noch als seine großen Reisen haben mich seine kleinen angesprochen. Mit der Jolle durch Mc.Pom, Umrundung der Ostsee mit der kleinen Yacht, dito die Nordsee, Chartersegeln in Holland (bei Scheißwetter) und etliche andere. Da fand ich mich wieder, dazu hatte und hätte ich auch Lust. Ja, und vielleicht auch das Potenzial.

Abrüstung

Sehr nachdenkenswert finde ich seine Haltung bezüglich der aus seiner Sicht notwendigen Ausrüstung seiner Boote. Kurz und knapp zu beschreiben mit ‚keep it simple‘ oder ‚was nicht da ist, kann auch nicht kaputt gehen‘. Der heutige Trend zur technischen Aufrüstung und die Auffassung vieler Freizeitskipper, wonach die nautische Ausstattung des eigenen Schiffchens eine möglichst große Nähe zum modernsten Marinegerät haben und sein Komfort sich nicht allzu weit von den häuslichen Gewohnheiten entfernen sollte, stößt bei ihm auf kopfschüttelnde Kritik. Seine bislang gesegelten Schiffe sind klein und einfachst ausgestattet, aber seetüchtig. Da hält er uns Normalseglern durchaus einen Spiegel vor.

Unbekannte Lebensleistung

Man stelle sich mal vor, Steffi Graf wäre nur unter Tennisspielern und Schumi nur unter Hobby-Rennfahrern ein Begriff. Nicht auszudenken! Obwohl – bei Wilfried Erdmann funktioniert’s doch auch. Den kennt jeder … Segler. Außerhalb der Segelszene kann er sich völlig ungehemmt auf allen Marktplätzen deutscher Klein- und Großstädte bewegen. Über diesen Aspekt nationaler Unbekanntheit wird er vermutlich sehr froh sein und es gar nicht anders haben wollen. Mich jedoch, als Segler, wurmt es. Oder sehe ich das ganz falsch und sollte eher erleichtert sein, dass der Segelsport noch weitestgehend frei von Personenmarketing ist? Hm …

Einen Vorschlag habe ich aber: Sein Schiff, DAS Erdmannsche Symbol-Schiff schlechthin, die Kathena Nui, gehört langfristig ins Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven. Aber die wissen offensichtlich von einem Herrn Erdmann aus Deutschland sowieso noch gar nichts. Dieser Name fehlt ihnen genauso wie das dritte „f“ im offiziellen Namen. Zumindest sagt das die Homepage des DSM, wenn man diesen Begriff in die Suchfunktion eingibt. Unglaublich.

Next generation

Gerade habe ich ein anderes Buch beendet. „Solo
mit Pink Lady“ von und mit Jessica Watson. Eine (sehr) junge Australierin, die 2009 in Sydney mit 16 Jahren ihre Nonstop-Solo-Weltumsegelung begann und 2010, nach 7 Monaten allein auf See, ebendort auch wieder beendete. Ein gut zu lesendes Buch, eine toughe junge Lady, eine spannende Geschichte. Aber vor allem: eine segelverrückte Nation. Zehntausende von Menschen an den Berghängen der australischen Ostküste bei ihrer triumphalen Rückkehr. Ein enormes Begleitgeschwader australischer Freizeitboote, das ihr eigenes, kleines Schiff völlig verschwinden ließ. Die gesamte nationale Politprominenz vor Ort, die sie prompt zur australischen Heldin erklärt. Wer sich die Bilder auf youtube ansieht ist gerührt. Mehr geht nicht.

Anfang 2011 – zur „boot“ in Düsseldorf – war sie in Deutschland und traf Wilfried Erdmann. Eine internationale Stabübergabe?

Zum Schluss: Ein herzliches Dankeschön an Wilfried und Astrid Erdmann, die mir die Verwendung dieser Fotos gestatten. Leider kenne ich die beiden nicht persönlich, wir hatten nur ein paar Mail-Kontakte. Deshalb: alle Aussagen entstammen dem Bild, dass ich von ihm aus seinen Veröffentlichungen und den Publikationen über ihn in den einschlägigen Medien gewonnen habe.