Im September gebe ich mir noch einmal drei-Wochen-allein-an-Bord. Immer wieder schön, genauso, wie mit Sigrid an Bord zu sein. Müsste ich mich entscheiden … ich könnte es nicht. Beides ist gut und wichtig.
Meine Zeit an Bord beginnt allerdings völlig unseglerisch mit ein paar Basteltagen. Der Hebel der Großfallklemme war abgebrochen und muss ersetzt werden. Neptun sei Dank gibt es das Ding einzeln, ein sehr teurer Austausch der kompletten Doppelklemme bleibt der Bordkasse also erspart. Das einzige Problem: Ich habe keine von diesen genialen, weil leuchtenden Aufklebern mehr und finde sie auch im Netz nicht. Eine Mail an die ehemalige Herstellerfirma bleibt unbeantwortet.
Als nächstes muss die Klopumpe dran glauben. Wir bekommen einen leichten Klogeruch im Boot nicht weg, und da meine Lavac-Toilette nun 10 Jahre alt und sowieso mittlerweile etwas inkontinent ist (Rücklauf in die Schüssel), gönne ich uns eine neue Pumpe. Und siehe da: Geruch weg.
Dann kommt Ramses an Bord. Ramses ist Inhaber und Chef der Zeilmakerij Sud West und hat mir kürzlich neue Segel geliefert. Es gibt ein paar kleinere Probleme, z. B. rattert das Vorliek des Groß‘ bei etwas mehr Wind ganz furchtbar an der Mastnut, was natürlich – Resonanzgehäuse – im gesamten Boot und auch im Cockpit zu einem nervenden Geräusch führt. Wir trimmen, spannen oder entspannen Segellatten, und ich bekomme ein bisschen Trimmnachhilfe (meine schwache Seite, kann ich also gut gebrauchen).
Ein paar Tage zum alleine segeln bleiben mir noch, bevor Bernd aufschlägt. Bernd ist ein sehr guter Freund aus Lingen, der übrigens auch zu meinen „Wir Sechs“ Segeljungs gehört – siehe den letzten Beitrag. Endlich! – möchte man ausrufen. Wir versuchen – ich glaube – seit zwei oder drei Jahren einen passenden Termin für ein paar gemeinsame Segeltage mit der Rüm Hart hinzubekommen. Die Fotos in diesem Beitrag stammen alle aus diesen Tagen mit Bernd – bis auf die beiden „beklemmenden“ ganz oben.
Ich zitiere mal aus meinem Logbuch: Bernd ist seit heute Mittag da, und ich freue mich wie Bolle. Und das Schönste: er fühlt sich merklich wohl an Bord. Keinerlei Anzeichen von Seekrankheit, keine Stresssymptome (von denen er in den Tagen zuvor noch reichlich hatte). Wir genießen unser Glück: feines Segelwetter, Sonne, Fischbrötchen, Pommes, Bierchen, Spaziergang durch Enkhuizen. Sogar ein Liegeplatz wird für uns in letzter Sekunde frei. Na bitte …
Wir queren das IJsselmeer von Nord nach Süd und zurück. Wir tuckern durch das malerische Workum und schauen den Menschen direkt in die Hintergärten. Die Weite Frieslands und sein hoher Himmel öffnen Geist, Seele und Denke. Spontan unterbrechen wir unsere Fahrt an Leijepolle, der Mini-Insel im Heeger Meer. Nur eine kurze Robinsonade, denn der Wind dreht auf Ost, und die entsprechende Welle lässt Rüm Hart an der sehr, sehr niedrigen Pier tanzen. Die Festmacher wollen von mickrigen Pollern hüpfen. Wir parken um und entscheiden uns für Langehoekspolle gegenüber. Dort liegen wir zwar nicht allein, aber wind- und wellengeschützt. Spaziergang über die Insel, die auf einmal gar nicht mehr sooo klein ist.
Bernd ist begeistert, er strahlt es heraus: Von der Landschaft, über die spontanen Planänderungen, die wir uns leisten können, vom Segeln, vom Schiff, von der Natur und unserem ganz speziellen Dasein in und mit ihr.
Ich bitte ihn, den litrarischen Teil der Logbucheinträge zu übernehmen. Bei wem wäre der Job besser untergebracht als bei Bernd, dem Germanisten, Autor, Theatermenschen, Musiker und Künstler (die korrekte Interpunktion mit einem „?“ erspare ich mir an dieser Stelle).
Also ein weiteres Logbuchzitat: Sich auf die Rüm Hart zu begeben und dem Herzen Weite zuzumuten hat all das: Wir können (und müssen auch oft) uns einen Plan machen, wohin es gehe soll, nach Warns, um morgen pünktlich die Heimreis antreten zu können – am Ende landen wir auf Leijepolle. Es gibt Fischbrot (Matjes) mit Zwiebeln, noch ein Amstel! Da sind wir nun, und jetzt: auf nach Langehoekspolle. „Das kann.“ Jetzt freier Blick nach Westen und in den Sonnenuntergang, zu rot und zu glühend, um ernst genommen zu werden. Gott sei Dank krächzt erneut ein Reiher und sorgt für Gleichgewicht! Segeln mit der Rüm Hart, das ist Reimen mit der Natur.
Früh ablegen am nächsten Morgen; Bernd muss am frühen Nachmittag in Lingen sein. Herzlicher Abschied. Ich bin platt und haue mich für einen Mittagsschlaf in die Koje. Abends essen bei Marjet in unserem Hafenrestaurant. Mit Freunden. Wird lustig …
Leinen los früh am nächsten Morgen. Ich habe noch eine Woche und nutze sie seglerisch. Merkwürdigerweise sind einige Häfen noch proppevoll und zwingen zum Päckchenliegen. Medemblik zum Beispiel. In Enkhuizen hingegen habe ich völlig freie Platzwahl, und es wird nach mir auch nicht sehr viel voller. Dort gönne ich mir einen Hafentag und schreibe endlich den Bericht vom Törn in die Stockholmer Schären fertig. Die Strafe folgt prompt: Am nächsten Tag ist der SSW-Wind weitaus heftiger, als gestern noch angekündigt, und eine hackige Backstag-Welle lässt mich wie besoffen nach Stavoren eiern. Anstrengend! Das Schleusentor geht auf und ich werde vom Wind regelrecht reingepresst in die Kammer. Der Fullstop kurz vorm inneren Schleusentor gelingt rechtzeitig, und bei dem Presswind von achtern muss auch nur die Achterleine belegt werden. Alles Weitere macht der Wind.
Danach ist Ruhe in meiner Welt, und ich diesele die letzten Kilometer bis in den Heimathafen. Für die ausführliche Schiffsreinigung nehme ich mir einen weiteren Hafentag. Dann geht’s ab nach Hause. Sehr ungewöhnlich und beklemmend: Einreisekontrollen an der deutsch-niederländischen Grenze durch schwerbewaffnete deutsche Polizei (die allesamt ein Gesicht machen, als würden ihnen ein paar Segeltage auf der Rüm Hart äußerst gut tun). Ein sehr krasser Gegensatz zur friesischen Weite von vor ein paar Tage. Die Welt dreht am Rad, und wir kurbeln alle kräftig mit …
Zum Schluss: es ist immer wieder erdend und schön, Menschen an Bord zu haben, die noch in der Lage sind zu staunen, vor Freude zu strahlen und sich zu begeistern. Die entflammbar sind. Wird mir so doch wieder mal bewusst, wie privilegiert ich bin, dieses Schiff in diesem Revier und überhaupt segeln zu können. Der Rostansatz im Bewusstsein wird wegpoliert. Es wird immer alles viel zu schnell gewöhnlich und selbstverständlich. DANKE, Bernd!
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Was sonst so war