Testwoche

Tusch! Die Saison ist hiermit offiziell eröffnet. Ich sitze in diesem Moment – Freitagabend – in Rüm Harts Salon, wir beide sind heute Mittag hier in Enkhuizen eingetrudelt. Genauer: im Buitenhaven. Eine Woche Leben an Bord. Na gut, fast eine Woche.

Lasst uns mal im Kalender ein paar Tage zurückblättern: Vor 5 Tagen, letzten Sonntag, habe ich Sigrid in Hengelo bei der Nederlandse Spoorwegen, also der niederländischen Bahngesellschaft, abgegeben, auf dass selbige sie fix und sicher nach Amsterdam zum Sprachkurs bringe. Ich selbst bin gleich weiter zum Boot und hab mich erstmal mit Arbeiten an Bord beschäftigt. Lauter Kleinigkeiten, Ölkontrolle, ein paar Schrauben nachziehen, Reffleinen anschäkeln, Backskisten aufräumen, Fenderbretthalter neu fixieren und so weiter.

Dann bin ich auf die glorreiche Idee gekommen, doch mal einen Blick in den fast leeren Tank zu werfen, bevor ich frischen Diesel (GTL) auffülle. Und siehe da, nachdem 18 Schrauben, die das Inspektionsluk sichern, bewältigt sind, sind tatsächlich ein paar schwarze Stippen zu sehen. Sehr wenige, aber Vorsicht ist die Mutter aller Seefahrer. Also kommt meine Stabpumpe zu einem seltenen Einsatz, die die winzigen Dinger in Minuten in einen kleinen Restdiesel-Kanister befördert. Das Foto zeigt die rechte Tankkammer vor der invasiven Behandlung. War echt nicht viel, und ich denke,  dass sich die Umstellung auf GTL statt Diesel bislang sehr gut bewährt hat. Unter Seglern und Motorbootfahrern ist „Dieselpest“, eine Art biologischer Schlamm, der vor allem die Spritleitungen zusetzt, die Dieselzufuhr also wirkungsvoll verhindert und zu aufwendigen Reinigungsaktionen zwingt, sehr gefürchtet.

Mittwoch geht’s dann richtig los. Noch schnell tanken in Stavoren, das Schleusen klappt auch noch, und ich finde mich auf dem IJsselmeer bei sehr kaltem Nordwind wieder. Hab keinen Bock auf Segeln, wozu hab ich grad die Nummer mit der Tankreinigung gemacht! Jetzt soll er auch was tun, der Diesel. Zwei Stunden später liegt meine Sirius neben der Sirius in Hindeloopen. Schöner Zufall. Das nette Eignerpaar hat nichts dagegen, dass ich dieses Foto mache und hier zeige.

Überraschung! Henk, der Hafenmeister und ehemalige U-Boot Kommandant, ist nicht mehr da. Und ich hatte mich schon auf den üblichen gemeinsamen Kaffee und das Schwätzchen bei mir an Bord gefreut. Es gibt ein neues Hafenmeisterpärchen, die meine Bitte, an der Pier längsseits liegen zu dürfen, streng ablehnen. Na, mit denen muss ich erst noch warm werden. Was aber im weiteren Tagesverlauf schon ansatzweise klappt.

Wenig später hab ich auch Steuerbord-Nachbarn bekommen und bin zugeparkt. Keine Chance, morgen sehr zeitig abzulegen, unser Vierer-Päckchen ist auf mich als Stabilisierung angewiesen. Ich kann nicht einfach so die Leinen loswerfen und rückwärts rausdampfen. Also warte ich, aber um neun werde ich ungemütlich und dränge zur Eile. Ich will nach Medemblik, will segeln, mit für den Vormittag angekündigtem mäßigen Rückenwind.

Das klappt zunächst auch prima, mit „Passat-Besegelung“. Heißt: Zwei Vorsegel – hier Code-0 und Genua -, auf jeder Seite eins. Steht auch sehr schön, aber nicht lange, dann dreht der Wind heftig auf Nord, und ich nehme die Genua (rechts, Steuerbord) weg und komme nur mit dem Code-0 zügig vorwärts.

Rüm Hart und ich sind auf Südwestkurs, von Süden kommt ein Frachter auf dem Weg von Enkhuizen nach Den Oever. Klar hat der Wegerecht und selbst wenn er keins hätte, würde ich ihm eigentlich nicht auf die Pelle rücken. Ich behalte ihn im Auge und habe den Eindruck, dass der immer langsamer wird. Und prompt, genau als er mit 100 oder 200 m Abstand quer vor mir liegt, biegt er nach Backbord (links) ab und parkt ein. Ich bleibe skeptisch, nicht dass der noch einen weiteren Haken schlägt. Aber nein, der liegt da stabil und punktgenau. Ich passiere an seiner Backbordseite. Der Skipper winkt mir aus seinem Gehäuse zu – und ich staune. Ob der nur mal kurz aufs Klo muss? Dass Frachter mitten auf dem IJsselmeer Päuschen machen hab ich auch noch nicht erlebt.

In Medemblik ist mein Lieblingsplatz frei, direkt unter dem Kasteel Radboud. Wärmer wird mir davon auch nicht, aber schön ist es trotzdem. Der eisekalte Nordost zeigt mittlerweile was er drauf hat und schiebt mit 5 Bft. eine ordentliche Welle exakt in die Hafeneinfahrt rein, was selbst an meinem Liegeplatz, obgleich um die Ecke, ordentlich Schwell verursacht und Rüm Hart in Wallung bringt. Zumindest kann man dabei herrlich Rotwein trinken und schlafen.

Heute – Freitag – nun ein völlig anderes Segeln. Und andere Segel. Das Groß und die kleine Selbstwendefock müssen ran. Wind aus Nordost (rattenkalt, hatte ich das schon erwähnt?). Kreuzkurs nach Enkhuizen. Eigentlich wollte ich das Groß ja im ersten Reff fahren, aber beim Segelsetzen ist die Eigenblamage unauswechlich. Anfängerfehler: ich hab vergessen, die Reffleinen auch am Vorliek anzuschlagen. Doof, aber ok, 15 Knoten Wind kann man auch ohne Reff segeln. Geht dann auch flotter.

Elf Seemeilen bis Enkhuizen, zweieinhalb Stunden. Ich bekomme tatsächlich eine der wenigen Boxen. Early Bird halt. In fast jedem Hafen hat es Vorteile, wenn man pünktlich da ist, weil man morgens früh in die Socken gekommen ist. Putz- und Reinigungsnachmittag – zuerst das Boot, dann der Skipper. Schließlich läuft Sigrid morgen hier ein. Mit der Bahn von Amsterdam nach Enkhuizen sind’s rund eine Stunde, und zum Bahnhof könnte ich vom Boot aus beinahe eine Leine werfen. Einmal quer über die Straße.

Ich bin zugegebenermaßen in erleichterter Stimmung. Diese paar Tage an Bord waren ein Test, bei dem ich mir selbst ein vorsichtiges „Bestanden“ attestiere. Die letzten pneumologischen Untersuchungen des Lungenarztes hatten kein gutes Ergebnis gebracht. Meine kardiologischen Probleme sind auch nicht kleiner geworden, und zusätzlich meldet der Schrittmacher, dass er in Kürze ausgetauscht werden möchte, weil sein Akku in die Knie geht. Zusammengefasst: Kann ich’s noch? Bin ich an Bord noch Herr des Geschehens? Kriege ich das Groß hochgewuchtet? Die Schoten dichtgekurbelt? Diese Zweifel der letzten Wochen sind in den letzten fünf Tagen maßvoller und angemessener Zuversicht gewichen. Und eins steht sowieso fest: ich bekomme nirgendwo so gut Luft wie an Bord, wie auf dem Wasser, wie bei, mit und durch Meeresluft. Mit allem Respekt, aber die Saison kann kommen.

Zum Schluss noch mal kurz zurück nach Hindeloopen. Nachts lief dort eine ganze Flotte von den wunderbaren Schiffen des auf Plattboden spezialisierten Vercharterers Heech by de Mar ein. Die machen jedes Jahr eine Flottilienfahrt ins Watt, ich bin da selber auch schon mal mit gewesen. Lange her. Diese Schiffe bieten immer besonders lohnende Fotomotive und in diesem Fall fast schon einen Tunnelblick auf Rüm Harts Heck.

*****