Ich hab ja lange überlegt, ob ich diesen Beitrag schreibe. Aber ich will auch nicht immer so tun, als sei alles toll, bunt, fröhlich und als gäbe es nichts Schöneres, als allein auf der Ostsee rumzusegeln. Das wäre einerseits ziemlich albern und andererseits stelle ich wieder mal fest, dass Schreiben hilft. Dem Schreiberling.
Gestern – Mittwoch – beim Wachwerden und Aufstehen fühle ich mich nicht fit. Anflüge einer Erkältung oder sowas. Achwas. Ankerauf, leise schleiche ich mich aus dieser wunderbaren Bucht, man mag die Ruhe nicht durch Dieselgeräusche stören. Der Wind ist sehr launisch und wechselhaft und wird immer stärker. Ich rolle das Vorsegel (Code-0) ein und bekomme die elend lange Schot unter das Schiff – bei laufender Schraube! Um ein Haar wäre es passiert und ich hätte die Strippe IN der Schraube gehabt …
Mittags laufe ich eine vorher ausgewählte und im Hamnguiden empfohlene Ankerbucht an. Verdammt eng, mein Bauch fühlt sich nicht wohl hier und sagt dem Steuermann in mir, dass er das sein lassen soll. Der hört nicht. Der Anker fällt, aber beim rückwärts Einfahren hält er nicht und ich ziehe ihn durch die halbe Bucht. Direkt nachdem ich einsichtsvoll gestoppt habe – das Schiff steht fast – gibt es einen kleinen Ruck und ich bin zum zweiten Mal hier in Schweden gegen einen Stein oder Felsblock gestoßen. Scheiße! Ich hatte den Ehrgeiz, ohne solche „Kontakte“ nach Hause zu kommen. Aber gut, ist ja nichts passiert.
Dennoch bin ich ein bisschen aus der Spur und ärgere mich. Hätte ich bloß auf mein beim Segeln so wichtiges Bauchgefühl gehört. Um wieder runterzukommen schalte ich den Autopiloten aus und gehe selbst Ruder. Eine halbe Stunde auf der Kante sitzen, mäßiger Wind, das Boot läuft, die Landschaft ist schön. Aber der Himmel in Luv sieht komisch aus. Grauer Dunst, merkwürdiges Licht.
Dann knallt es vorn. Autopilot wieder an, hin und nachschauen. Auf dem Seitendeck liegen kleine graue Plastikstücke. Ein Umlenkblock meiner Baumbremse ist gebrochen, hat die Last nicht mehr ausgehalten. Den habe ich offentsichtlich zu schwach dimensionert gekauft.
Mit schwachem Wind schlage ich mich nach Trosa durch. Finde einen Liegeplatz in der Mündung des kleinen Flusses, der quer durch die Stadt fließt. Längsseits, fast wie in Makkum. Boot sichern und aufräumen, Segel einpacken, Kaffee. Ich fahre den Laptop hoch, bekomme Netz und erhalte von Klaus diese eine Mail, die alles relativiert, völlig unwichtig werden lässt und mich umhaut.
Rudolf, ein guter Freund aus der niederländischen Seglerszene, hat einen Herzinfarkt erlitten und ist tot. Ein Kerl wie ein Baum, ein sympathisches Riesenbaby, äußerst kantig und sehr hilfsbereit. Gerade mal 43 Jahre alt ist er geworden. Und hinterlässt seine Frau Liz und seinen Sohn Tilman. Die Bilder von unseren Treffen und von ihrem Besuch zum Boßeln in Lingen kommen hoch. Ebenso die Tränen.
Und in solchen Momenten ist Einhandsegeln einfach nur – sorry – Scheiße. Man kann es nicht anders klar ausdrücken. Das Schlimmste: ich muss bis 18 Uhr meine lustige Kolumne zu Ende feinschleifen und abschicken. Es beginnt heftig zu regnen, die Welt draußen wird unscharf durch die nassen Scheiben. Mir ist kalt, ich fahre die Heizung hoch.
Heute – Donnerstag. Schlafe bis um halb neun durch. Untypisch üppiges Frühstück mit Brötchen, Lachs und Ei. Schnappe mir mein Rad und fahre in einer Regenpause in den Ort. Das alles bringt die Stimmung ein bisschen zurück. Niedliche Innenstadt, sehr idyllisch. Das im Schwedenführer so dringend empfohlene Café „Marsipangården“ stellt sich mir in den Weg. Eine Schoko- und Kuchenauswahl die Gaumen und Augen übergehen lässt. Man darf sich selbst bedienen und Kaffee mit Nachschenkgarantie gibt es dazu. Für 104,-. Gott sei Dank schwedische Kronen. (*)
Selbst einen kleinen Nautikshop gibt es. Und in strömendem Regen fahre ich mit neuen Blöcken für meine Baumbremse zurück. Wolfgang und Astrid, die ich schon in Oxelösund getroffen habe, folgen meiner Einladung zum 5 Uhr Tee. Wir klönen bis um fast halb acht. Danke ihr Beiden, das tat gut.
Ich trauere um einen Freund. Aber ich habe meine Fassung wieder. Halbwegs. Und morgen wird hier Mittsommer gefeiert. Ab übermorgen soll das Wetter wieder besser werden.
Und dann werde ich wieder segeln.
(*) ca. 10,- €
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Tja, wie soll man es anders ausdrücken, denke die ganze Zeit an unser schönes Boßelwochenende. LG Thomas
Moin‘ Manfred! Ich freue mich alle paar Tage über deinen Blog und es macht mir großen Spass auf diese Weise mitreisen zu dürfen – das wollte ich längst mal sagen.
Über die Sache mit Rudolf grübeln wir heute wohl alle intensiv nach. Verdammt, ein Leben ist nicht unendlich, leider auch unsere nicht… Toll, dass Klaus sofort zur Familie gefahren ist!
Im Vergleich zu solcher Tragödie ist der gebrochene Block selbstverständlich unerheblich. Trotzdem: Muss ja funktionieren. Ich wundere mich, dass ein Lewmar Block bei der geringen Belastung aussteigt. Hab selbst HTX-Blocks von denen an Bord, die sollen angeblich eine Arbeitslast von 1.100 kg haben!?
Weiterhin Gute Fahrt!
Gruß, Andreas (Jannina)
Moin Manfred,
der plötzliche Tod von Rudolf hat wohl ziemlich viele Leute, mich eingeschlossen, hart getroffen.
Auch wenn man ihn nicht persönlich kannte, seine Beiträge gehörten zu denen die ich eigentlich immer gelesen habe und zu den wenigen die man auch ernst nehmen durfte..
Ein echter Verlust!
Aber das Leben geht ja weiter und nach ein paar unschönen Überraschungen ist man auch wieder eingenordet, so das man sich über die schönen Dinge umso mehr freuen kann.
Gruß
Thorsten
Mit einem solchen Schock allein fertig zu werden geht wohl nicht wirklich! Und dennoch braucht Trauer auch das Alleinsein können und dürfen. Aber eben AUCH!
Lieber Manfred, Ich kann es Dir nach- und mitfühlen. Und das tue ich von Herzen. Hoffend, dass wir uns alle miteinander noch eine hoffentlich nennenswerte Weile haben dürfen.
Liebe Umarmung
Deine große Schwester