Ich hab’s durch Zufall festgestellt: in diesen Tagen vor 50 Jahren bin ich zum ersten Mal auf dem IJsselmeer gesegelt. Dass ich es so konkret sagen kann, hat eine traurigen Grund: der Tod eines Rennfahrers in Zandvoort heute vor 50 Jahren. Die Geschichte geht so:
In jungen Jahren war ich sehr aktiv in der DLRG und hatte daher einen freundschaftlichen Draht zu Heinz Steinborn, seines Zeichens Chef-Bademeister des Lingener Hallenbades. Und gleichzeitig Segler. Wir hatten also was Gemeinsames, wenn auch in stark unterschiedlichen Schiffsklassen. Heinz hatte einen Kutter in der Wesermündung liegen, ich war der Jolle noch nicht entwachsen. Na ja, jedenfalls lud Heinz zu einem Chartertörn auf dem IJsselmeer ein, mit einer großen Crew auf einem kleinen Boot: 5 (teilweise junge) Männer und eine Wibo 850. Und so kam es, dass ich mit unschuldigen 19 Jahren das erste Mal die Weihen niederländischer Gewässer empfing.
Der Mitteldeich zwischen Lelystad und Enkhuizen war noch im Bau und wies 1973 eine kilometergroße Lücke in der Mitte auf. Diese seglerische Freiheit ließ uns am Samstag in Monnickendam landen. Am Sonntag, dem 29. Juli 1973, war Formel 1 Rennen in Zandvoort, wir also in jugendlichem Drang zu fünft in ein Taxi (das eigentlich nur für vier Fahrgäste gedacht war) auf zu unseren Motorsport-Helden. Viele Erinnerungen hab ich daran nicht mehr, dafür ist aber eine ganz besonders tief abgespeichert: der Unfalltod von Roger Williamson, der nach einem Crash in seinem March Ford verbrannte, während fast alle anderen Fahrer ungerührt an dem brennenden Wrack vorbei rasten. Kein Mensch dachte offenbar daran, dass Rennen zu stoppen oder wenigsten zu unterbrechen.
Damals, mit fast noch frischem Führerschein und erstem Auto (uralter NSU Prinz), war ich Motorsport-Fan. Heute hat sich das weitestgehend erledigt. Meiner Meinung nach passen Formel 1 und andere Rennklassen nicht mehr in die Zeit – bei allem Respekt vor den ingeniösen und fahrerischen Leistungen.
1973 hatte ich keine Ahnung, wie weit mich die Segelei führen sollte. Ein eigenes Schiff, auf dem man sogar schlafen und leben konnte, war außerhalb der Denke und Vorstellungsfantasie – heute Realität. Dass ich je auf eigenem Kiel nach England, Schweden oder gar Finnland segle …, damals völlig absurd – heute wertvoller Erinnerungsschatz. Ich muss es mir irgendwie verdient haben. Keine Ahnung womit und wodurch – ich grüble noch.
Irgendwie geht es uns allen so – Zufälle und seltsame Wendungen des Lebens bestimmen den Kurs. Bei mir war es der Wochenendsegeltörn einer Kollegin zum Abschluss der 10. Klasse mit den Schüler:innen. Eine davon war meine Tochter. Als dann der begleitende Kollgege fünf vor Zwölf durch Krankheit ausfiel, überredete mich der Schulleiter, durch meine Mitfahrt den Ausfall der Fahrt zu verhindern. Da ich – natürlich – in der Klasse nicht unterrichtet habe und – natürlich – auf keinen Fall mit der pubertierenden Gruppe inkl. meiner Tochter ein Wochenende verbringen wollte, war das eine schwierige Kiste. Aber ich habe mit meiner Tochter klare Verhaltensregeln für uns beide abgesprochen und dann hat sie zugestimmt. Und da hat das Segelvirus zugeschlagen: morgens raus aus Urk, dann ging der Skipper in den Wind, Segel hoch, etwas abfallen, der 30-Meter-Kahn legte sich leicht auf die Seite, Motor aus und wir zogen los – das war DER Moment für mich. Kotzübel war mir übrigens, die ganze Nacht hatte das Schiff gerollt. Nach zwei weiteren Törns habe ich festgestellt: es war gar nicht das Rollen, es war der Genever! Ich habe mich danach von dem Zeug fern gehalten und mir war nie wieder schlecht. Schönere Erinnerung an den „Karrierestart“ auf dem IJsselmeer als über den Tod eines Menschen – aber darauf nimmt das Leben eben einfach keine Rücksicht.
Da haben wir uns schon wieder verpasst. Bin heute Abend durch den Hylprr Hafen und hab vergeblich die Rüm Hart gesucht.
Handbreit
Udo