Das letzte Wochenende war heftig. Seglerisch und meteorologisch. Ausgerechnet bei den ersten außerfamiliären Gästen an Bord, die Rüm Hart beherbergen und besegeln sollte, gab’s auf die Mütze. Freitagnachmittag kam Auslaufen nicht infrage. Nach wie vor mag ich mein Boot und mich zu sehr, als dass ich auf die Idee käme, bei Böen von deutlich über 30 Knoten (7 bis 8 Bft.) auszulaufen. Und dann noch die Freunde, denen ich ja eigentlich ein Wohlfühl-Wochenende bieten wollte. Nein, Programmänderung: Kaffee und Kuchen an Bord, Pizza und Bier im Ort, Fußball und Sieg gegen Griechenland in der Hafenkneipe. Auch schön! Jedenfalls für mich und die meisten anderen Zuschauer auch. Ulrich allerdings ist Geräteturner und Jos Niederländer … alles klar?
Nach herrlicher nächtlicher Schaukelei (wetterbedingt, hatte nichts mit den Bieren zu tun!) beruhigt es sich am Samstagmorgen etwas. Wir reden nur noch über 5 bis 6 Bft und legen ab. Allerdings ernten wir schon erstaunte Blicke von einigen Kollegen, aber wir sind nicht die Einzigen. Ein paar wenige trauen sich auch.
Draußen geht’s los. Gegen die typische Ijsselmeerwelle bolzen wir hoch am Wind zunächst Richtung Den Oever. Medemblik ist das eigentliche Ziel, aber genau dort kommt der Wind her. Also kreuzen. Nach der Wende auf Südkurs dreht auch der Wind ein wenig zurück auf Süd. Wie hat’s kürzlich irgendwer so treffend geschrieben: ‚Rasmus ist ein Arsch!‘. Ich gebe ihm recht und wir entscheiden, dass Enkhuizen auch ein sehr schönes Städtchen ist.
Und jetzt geht die Post ab! Eine kleine Kursänderung um 15 bis 20° bringt Speed. Für die nächste Stunde kommen wir nicht mehr unter 7 Knoten, bei reduzierter Krängung (Schräglage) und erhöhtem Spaß. Und das alles mit kleinster Fock, zweifach gerefftem Groß und butterweichem Wellenverhalten. Herrlich! (Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob das jeder an Bord so gesehen hat …)
Auf Empfehlung eines Freundes (Danke Klaus, guter Tipp) probieren wir mal den Buyshaven in Enkhuizen direkt südlich am Bahnhof. Sehr gut! Zwar muss man zum Einkaufen ein bisschen laufen, liegt aber ruhig und im Grünen. Sehr großzügige und schöne Sanitäranlagen mit kostenlosen Duschen. Da bin ich nicht das letzte Mal gewesen.
Wir spazieren quer durch die Stadt und landen im Restaurant am Compagnieshaven. Enkhuizen ist nicht so riesig, als dass man nicht die Qualitäten des einen Hafens mit den Nützlichkeiten der anderen Marinas verbinden könnte. Zu zweit unter Einsatz der Bordräder, zu dritt halt zu Fuß. Ohnehin hätte Enkhuizen ohne seine Sportboothäfen nur den halben Flächenbedarf.
Der Sonntag hat seinen Namen wirklich nicht verdient! Von Sonne keine Spur. Statt dessen regnet es Bindfäden. Ich radel in voller Segelmontur in die Stadt einen ‚warme Bakker‘ suchen und komme nass, aber mit Brötchen wieder zurück. Ulrich – schon als Obersmutje bei den Reiterseglern bewährt – ist für’s Rührei zuständig, Jos wäscht ab. Gestern noch hatte windfinder.com erheblich weniger Wind vorhergesagt – und sich das heute Morgen prompt noch einmal anders überlegt: über den Tag permanent zunehmender Wind und früh Nachmittag Böen mit bis zu 8 Beaufort! Prost Mahlzeit.
Ein Vorspiel kriege ich gleich bei der langen Hafenausfahrt geboten. Wie mit dem Kärcher knallt’s mir den Regen ins Gesicht. Das tut weh, und ich bin froh, dass wir nach ein paar hundert Metern den Wind – und also auch den Regen – für den Rest der Reise von hinten haben werden. Das Großsegel bleibt eingepackt. Wir probieren es erstmal mit der Genua, als aber im Ausgang des Krabbersgatt Wind und Welle zunehmen, wechseln wir auf die kleine Selbstwendefock. Trotzdem: nur selten unter 6 Knoten.
Das Anlegemanöver im Heimathafen – die Böen erreichen mittlerweile wieder 30 Knoten – hat Herzkasperqualität. Mit Rückenwind rauschen wir viel zu schnell durch die Boxengasse. Ich versuche mit Rückwärtsschub den Speed rauszunehmen, aber es bleiben dennoch über 4 Knoten, und das Boot beginnt sich durch den Radeffekt querzustellen. Aber in die richtige Richtung, der Bug zeigt zur Box. Noch einmal kräftig vorwärts/rückwärts, Jos und Ulrich bekommen ihre Leinen zuverlässig über die Heckpoller und wir zirkeln Rüm Hart unbeschädigt in ihren Liegeplatz. Nur der arme Jos rutscht auf dem klatschnassen Steg aus und stößt sich das Knie. Wenn der blaue Fleck weg ist, werde ich ihm einen guten Physiotherapeuten empfehlen.
Ach, da war noch was: 500 Seemeilen habe ich Rüm Hart nun gesegelt. Insgesamt, seit der Übernahme im August 2011. Das sind noch nicht viele? Für mich wohl, nämlich 926 Kilometer Sonne, Regen, Hagel, Kälte, Hitze, Flaute, Starkwind, Glück, Zufriedenheit, Ehrfurcht, Anspannung, Tiefenentspannung und ja – darf man das hier sagen? – auch Stolz.
Bleibt das so?