Es war eine alte Verabredung zwischen Sigrid und mir: sollten wir je in der Lage sein, ein eigenes Schiff unser Eigen nennen zu dürfen – Quatsch – nochmal – sollten wir also je zu einem eigenen Schiff kommen, haben wir auch die Kohle für ein anständiges Manövertraining. Für Sigrid ist allein schon die Tatsache neu, dass Segelschiffe auch einen Motor haben. Die Jollen, auf denen sie vor zwanzig Jahren mir zuliebe den A-Schein machte, hatten sowas nicht. Da wurde ganz fundamentalistisch gesegelt. Auschließlich gesegelt. Nun gut, in Ausnahmefällen vielleicht noch gepaddelt.
Und mir – ich muss es an dieser Stelle mal zugeben – geht vor jedem Anlegemanöver immer noch der Adrenalinspiegel in Alarmbereitschaft. Vor allem bei solchen, die bei viel Seitenwind gefahren werden müssen. Sicher gibt es ein paar Jahre Erfahrung mit vielen letztendlich anständig vollbrachten Hafenmanövern. Aber zu meinen Lieblingshobbies haben sie bislang nicht gehört, und von so einigen Patzern müsste ich ehrlicherweise auch erzählen.
Also geschah, was verabredet war, und Hilmar Knoops trat in unser Leben. Freitagmittag war’s, als ein stark verschnupfter Kapitän für große Fahrt auf unser kleines Schiff kam. Und es enstand ein ganz und gar unverabredeter Deal: er brachte uns das Manövrieren bei und Sigrid stabilisierte mit Hilfe der Bordapotheke seine persönliche Manövrierfähigkeit.
Der andere Teil war abgesprochen. Hafenmanöver unter Motor in allen nur denkbaren und bislang undenkbaren Lebenslagen. An- und Ablegen vorwärts in die Box, rückwärts in die Box, längsseits an den Steg – mit Backbord und Steuerbord, rückwärts vor Buganker an den Stegkopf, bei Seitenwind, bei Rückwind, mit Wind von vorn. Eindampfen in verschiedene Springs, wobei sich die Mittelspring glasklar als Lieblingsspring unseres Trainers herausstellte. Zu Recht, wie ich heute weiß. Wir sind in den zwei Stavoren-Häfen (Noord und Buiten) in Mauselöcher reingefahren, in die ich nie und nimmer reingefahren wäre. Im Interesse einer Schadensbegrenzung und weil man ja schließlich auch wieder raus will. Aber – oh Wunder – wir sind wieder raus gekommen! Meistens mit Hilfe von Manöverleinen, die wir an bislang völlig unbeachteten Stellen belegten. Hilmar benutzte ungeniert die Klampen anderer Boote um 15 oder 20 Meter lange Hilfsleinen zu legen. Kurz: wir haben Hafenkino par excellence abgeliefert.
Aber wir hatten Erfolg und Sigrid hat zu meiner großen Freude noch am Freitagabend ihr erstes Anlegemanöver hingelegt und auch gleich ihre naheliegendste Frage beantwortet bekommen: wie bremst man so’nen Kahn eigentlich? Hilmar hat mit seiner ruhigen, auf das Wesentliche konzentrierten Art erheblich dazu beigetragen, dass wir immer besser und sicherer wurden. Immer wieder haben wir die Praxis unterbrochen, haben uns beim Kaffee um seine mitgebrachte Magnettafel gesetzt, Modellschiffe hin und her geschoben und die Hebelwirkung von an bestimmten Stellen des Bootes belegten Festmacherleinen simuliert. Oder über die Rüm Hartsche Reaktion auf ein quergestelltes Ruderblatt im Schraubenwasser nachgedacht.
Sonntagmittag waren unsere kognitiven Akkus voll – es drohte sogar eine Überladung. Trotz letzter, verzweifelter Input-Versuche unseres Kapitäns auf diesmal ganz kleiner Fahrt kam zwischen den Ohren nichts mehr an. Geistige Verstopfung. 48 Stunden Intensivtraining brachten uns an die Grenzen. Ja, 48 Stunden! Denn nicht nur die Praxis zwischen Frühstück und (spätem) Abendessen forderten den ganzen Mann, die ganze Frau. Nein, auch die offensichtlich sehr unterschiedlichen Biorythmen von Hilmar und uns verlangten unsere Standfestigkeit. So ruhig und kontrolliert Hilmar tagsüber war, so sehr lebte er noch während des Abendessens auf und war erst zu Zeiten in die Koje zu bewegen, zu denen wir uns sonst und üblicherweise schon längst der traumatischen Verarbeitung des Tagesgeschehens zugewandt hätten.
Wir werden also unsere Bordapotheke um klitzekleine Pillen erweitern, die sich völlig geschmacksneutral ins Abendessen mischen lassen und den Tagesrythmus unserer Gäste an die innere Uhr der Eigner angleichen. Wozu hat man eine Apothekerin in der Großfamilie?