Autsch!

Lisa ist längst wieder zuhause in Neuseeland. Seit zweieinhalb Wochen bin ich nun an Bord. Zunächst allein, dann kommt Sigrid nach und wir haben ein paar schöne Segeltage. Aber auch Hafentage lassen wir uns meteorologisch aufdrängen. Geht in Ordnung. Wir haben es gemütlich an Bord, und bei 6 Beaufort müssen wir da draußen nicht mehr rumtoben. Bislang bekommen wir es ganz gut hin, Hafentage dort zu verbringen, wo was los oder wo es schön ist. Dafür reicht die Qualität der Wettervorhersagen gerade noch – die allerdings nach meinem subjektiven Empfinden nachgelassen hat, egal welches Wetterrechenmodell man nun gerade zum Orakel erhebt.

Ok, soweit der Opener (für Nachkriegsschüler: die Einleitung). Warum nun ein reißerisches „Autsch!“ in der Überschrift? Weil ich mir gewaltig die Birne eingerammelt habe. Natürlich als ich allein an Bord bin und als Samstag ist und somit kein Arzt mit Nadel und Faden bereit steht. Das Schiebeluk ist Schuld. Es ist auf einmal geschlossen, als ich mit ganzem jugendlichen Elan und Schwung nach draußen ins Cockpit will. Ergebnis: Platzwunde auf dem Sonnendach, blutreicher Gesichtsschmuck und ein Bad im Boot, das nach Gemetzel, aber nicht nach sanitären Verrichtungen aussieht. Mit Hilfe von Einmalwaschlappen bekomme ich die Blutungen einigermaßen in den Griff (trotz täglicher Einnahme von Blutverdünner). Ich brauche frische Luft und lasse mich draußen auf die Cockpitbank fallen. Ein vorbeigehender Kollege sieht mich mit auf den Schädel gepresstem Handtuch, fragt was los sei und ob er helfen könne. Zufällig übergibt er gerade sein Schiff an einen neuen Besitzer – einen Zahnarzt. Nun, das ist ja schon mal die richtige Richtung, Körper-Nord sozusagen. Also kommt der Dentist kurz zu mir aufs Schiff geklettert und schaut sich das Ganze an. Seine treffende Diagnose: „ca. 4 cm langer Cut, klafft 3 bis 4 mm auf, sollte man nähen, heilt aber auch so“. Da ich zum Nähen eine Stunde nach Sneek ins Krankenhaus fahren müsste, und weil niederländische Ärzte offenbar großen Spaß am Nähen ohne Narkose haben (so jedenfalls meine persönliche, leidvolle Erfahrung), bekommt der letzte Teil seiner Aussage entscheidendes Gewicht: es muss auch so heilen. Das klappt auch ganz gut, bis auf die Selbstbeobachtung, dass ich morgens fortan mit leichten Kopfschmerzen wach werde. Sigrids Urteil, die 2 Tage später an Bord kommt: leichte Gehirnerschütterung. Ruhe, nix segeln, faulenzen.

Das halte ich 4 Tage durch, dann bin ich wieder fit. Und der massive Holzbalken an der Unterseite des Schiebeluks hat einen zünftigen Kantenschutz erhalten.

Nach einer Woche Hafentage segeln wir wieder. Mittlerweile einer unserer absoluten Lieblingshäfen: Hindeloopen. Also nicht die Marina, die ist uns viel zu riesig, unpersönlich und zu perfekt. Nein, der Hylper Haven (Gemeindehafen) ist unser Favorit. Am liebsten gleich links oder rechts neben der Schleuse, dann hat man einen wunderbaren Blick auf die Hafeneinfahrt und kann die Anleger der Kollegen beobachten.

Noch ist alles friedlich im Hylper Haven von und zu Hindeloopen

Es sei denn, der angekündigte West-Südwest Wind dreht ungeplant und ohne sich um die Vorhersagen zu kümmern auf Nordwest. Und bläst mit 34 Knoten (gemessen um 2 Uhr nachts im Hafen trotz Abdeckungen durch Gebäude) statt mit 25. Dann läuft eine böse Welle ins Hafenbecken, bringt die Schiffe gewaltig in Wallung und Sigrid und mich um den Schlaf. Ich turne nachts mit Stirnlampe und nassem Schlafanzug – natürlich regnet es auch noch heftig – an Deck rum und korrigiere die Fenderlage. Wieder in der Koje rollt es mich hin und her, und es mag verwundern, dass man dabei doch irgendwann einschlafen kann.

Abendlicht im Boot im Kanal von Makkum

Am nächsten Morgen ist wieder Frieden über der Region. Wir ziehen weiter nach Makkum, zurück nach Workum, testen dort die neuen Steganlagen vor der Schleuse (erstklassig!), …

… schleusen nach Binnen ein und warten vor der Eisenbahn-Drehbrücke bis der eindeutig stärkere Verkehrsteilnehmer passiert hat …

… und segeln schließlich sehr ruhig, erholsam und genüsslich durch die friesischen Kanäle und das Heegermeer bis fast vor die Haustür in Warns. Nur unter Genua – unter neuer Genua! -, mit der ganz wunderbar hoch-am-Wind-Kurse möglich sind, die das alte Segel völlig überfordert hätten.

Ich nehme die Rollanlage der Selbstwendefock auseinander. Wir hatten unterwegs einen Überläufer und konnten das Segel nur teilweise einrollen. Außerdem schien es mir angebracht, die Vorstagspannung nachzuregulieren. Immer ein trickreicher Fummel-Job, und prompt springt mir eine der beiden Leinentrommelhälften über Bord. Scheiße – ich weiß wie tief da unten die Schlammlage ist. Trotzdem versuche ich es und tape den Bordkescher an den langen, weil ausziehbaren, Bootshaken. Und tatsächlich, mit dem ersten Wisch durch die Matsche spüre ich Widerstand und habe einen Riesendusel, dass ich das Teil auf Anhieb im Netz finde. Nach intensiver Reinigung und anschließender Montage – ohne weitere Materialverluste! – ist alles wieder ok. Allerdings geht die ganze Chose mittlerweile doch ein kleines bisschen schwer, obwohl ich sie regelmäßig warte und pflege. Leiden Vorsegelrollanlagen von Seldén an Alterschwäche? Ich werde das beobachten müssen. Zunächst egal, ich bin erleichtert und habe reichtzeitig vor dem Abendessen wieder eine funktionierende Selbstwendefock.

Apropos „Abendessen“: die beiden letzten Bilder erzählen ohne Worte den wesentlichen Unterschied zwischen dem Allein-Dasein an Bord und dem klassischen Bordhaushalt mit „sie und ihm“, am augenzwinkernden Einzelbeispiel eines Frühstücks:

Alles klar? Dann gute Nacht (aktuelle Bordzeit: 22:45 Uhr) und bis bald.

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