Abbruch light

Erst einmal ein dickes SORRY an alle, die in den letzten Tagen vergebens versucht haben, diesen Blog zu erreichen. Das Sicherheitszertifikat war abgelaufen und von segelnblogs.de ein bisschen spät erneuert worden. Shit happens.

Ok, hier aber nun der 2. Teil des Englandberichts (und es ist vielleicht ein guter Tipp, zunächst den 1. Teil zu lesen, wer das noch nicht gemacht hat):

Wiederbelebung des Gummischnullis und Torqeedo-Test am Ruhetag in Lowestoft

Da sitzen wir also nun in Lowestoft an der südostenglischen Küste und überlegen intensiv, was wir mit der Situation anfangen. Sofort umkehren? Wegen Übermüdung ausgeschlossen, zu hohes Risiko. Das Schiff hier lassen und für ein paar Tage nach Lingen fliegen? Antwort Sigrid: Was soll das? Kostet ein Vermögen und ist unnötig. Aber vielleicht könnt ihr ein paar Tage abkürzen und etwas eher nach Hause kommen. Dann nämlich muss Omis Zimmer entmöbliert werden, und dabei kann ich Hilfe gebrauchen.

Im „Butt & Oyster“ in Pin Mill, einen Besuch wert

Also beschließen Ole und ich sowieso schon mal aus drei Wochen zwei zu machen. Nur London wollen wir noch mitnehmen. Okay, nach einem seniorengerechten Erholungstag, auf nach Süden. Das nächste Zwischenziel ist der River Orwell, der bei Harwich, dem größten Containerhafen Englands, in die Nordsee mündet. Mit auflaufendem Wasser kurven wir dort hinein, schauen uns die wenig einladenden Gästestege von Harwich an und landen schließlich in der Marina Woolverstone, eine ganze Ecke weiter flussaufwärts. Eine halbe Stunde Fußweg über einen verschlungenen, geradezu pitoresk-verwunschenen Buschweg nach Pin Mill zum Butt & Oysters, DEM Segler-Pub an der Ostküste. Ich liebe englische Pubs, aber das hier ist eher ein Restaurant, allerdings ein sehr gutes, empfehlenswertes. Wir essen lecker und trinken süffige Biere. Für den Rückweg organisiert uns der Wirt ein Taxi. Natürlich nur „for safety reasons“, denn der Pfad wird nun ganz schön dunkel und kurvenreich sein … 🙂

Containerterminal von Harwich

Der Wetterbericht am nächsten Morgen (Mittwoch) verheißt gar nichts Gutes. Für Freitag u. Samstag ist Sturm angesagt, mit Windstärken von deutlich über 40 Knoten (9 Bft.) auf der Nordsee. Danach tagelang Ost-, also Gegenwind. Was jetzt? Die Trauerfeier ist noch nicht terminiert, könnte aber bereits Anfang übernächster Woche stattfinden, nicht dabei zu sein wäre unverzeihlich. Und wegen eines solchen Termins zum Schluss unter Druck zu geraten und zu leichtsinnigen Entscheidungen verführt zu werden auch.

Flusslandschaft am River Orwell, ganz rechts: Pin Mill

Wir treffen eine Entscheidung: Abbruch. Zurück nach Holland, dort können wir uns dann ja noch Zeit für ein paar Tage segeln lassen, sind aber in Schlagdistanz zum Geschehen zuhause. Also los, Motorcheck, Wasser bunkern, Diesel tanken, Routen- und Gezeitenplanung und Abflug am Mittag.

Nein, nicht Häschen in der Grube, sondern Motorcheck

Zu Beginn, mit mitlaufender Tide, machen wir sehr gute Fahrt und haben ständig 7 oder 8 Knoten auf dem Tacho stehen. Das gibt sich natürlich irgendwann, bringt uns aber schnell von der Küste weg. Das Groß ist oben, die Genua ausgerollt, Wind bis ca. 15 knts. So geht es in die Nacht hinein. Der Wind frischt deutlich auf und dreht von SW auf West, die Genua geht hinter dem Groß in Deckung und fällt ein. Weg damit, das hat so keinen Sinn. Nur unter Groß geht aber auch die Geschwindigkeit in den Keller. Zum alternativen Kreuzen vor dem Wind fehlt uns – man glaubt es kaum – ein bisschen der Platz zwischen den Windparks und Verkehrstrennungsgebieten. Außerdem: bei der Rüm Hart’schen Vorsegel-Konfiguration müssten wir bei jeder Halse die Genua erst ein- und dann auf der neuen Seite wieder ausrollen. Dazu haben wir nachts keine Lust, zudem wird die See bockig und schaukelt uns kräftig durch.

Entspannung im Salon mit Rundumblick

Klar, je weniger speed, desto größer ist die Schaukelei, aber wir finden einen guten Kompromiss. Ole geht als erster in die Koje, gegen 2 Uhr wird er mich ablösen. Meistens sitze ich im Decksalon auf dem Steuermannsitz und beobachte den Verkehr um uns herum auf dem Plotterbildschirm (innen iPad, draußen Plotter) und die AIS-Signale der großen und kleinen Kollegen. Man glaubt ja nicht, wie viel da nachts los ist. Wenn man mal ein bisschen herauszoomt wimmelt es von AIS-Dreiecken. Ok, das sieht auf dem Bildschirm dramatischer aus, als es in der Realität ist, da sind die dicken Pötte doch eine ganze Ecke weit weg.

Der Ritter Fips in seiner Rüstung …

Immer wieder bin ich im Cockpit, beobachte den Verkehr um uns herum, reffe ein, reffe aus, teste die Selbstwendefock, und dann entdecke ich zu meinem Schreck, dass unser Beiboot nur noch mit seinem Bug in den Davits hängt, der Schwalbenschwanz schleift durch’s Kielwasser, bei dem Getöse um mich herum hab ich’s überhört. Bin kurz davor Ole zu wecken, aber dann picke ich mich im Cockpit so ein, dass ich noch dran kann, hänge es ganz aus und lasse es an langer Leine achteraus treiben und vom Mutterschiff mitschleppen. Geht auch. Und es liegt trotz mittlerweile heftiger Welle (Wind bis ca. 25 Knoten) von sicherlich bis zu 2, vielleicht sogar 3 m, stabil im Wasser *). Keine Kentergefahr.

Ole geht es übrigens in der zweiten Nachthälfte nicht besser. Bei ihm piept auch noch der Batteriealarm. Also muss der Diesel wieder mal für ne Stunde nachladen. Unsere Akkus sind halt nicht mehr die jüngsten.

Als ich endlich in die Koje darf, kann ich mich dort nur festkeilen, es geht zu wie beim Bull Riding, allerdings bei horizontaler Lage des Protagonisten.

Marina Amsterdam

Vor der Ostküste, in diesem Fall vor IJmuiden, wird die See immer steiler. Klar, Westwind, lange Anlaufstrecke und abnehmende Wassertiefe. Es zieht sich hin und hinner. Endlich, um 13:30 Uhr nehmen wir in der Einfahrt von IJmuiden die Segel weg, fangen unseren Gummischnulli endgültig wieder ein und holen die Fender für die Schleuse raus.

Amsterdam

Ole fährt die Kanalstrecke bis Amsterdam, ich hau mich in die Koje, bin fix und fertig. Am Abend genießen wir den Luxus der Marina Amsterdam und gehen dort essen. Voll, laut und lecker. Am nächsten Morgen schlafe ich bis um neun. Ob sich meine betagten Bordbatterien genauso fühlen wie ich mich jetzt?

*) PS: nichts ist schwerer zu schätzen als Wellenhöhen. Man läuft immer Gefahr, möglicherweise auch ein kleiner „Heldenbonus“ zum Tragen kommen zu lassen … 🙂

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