… wir müssen reden. Seit vielen Jahren kennen wir uns, zum ersten Mal bin ich auf deinen Gewässern gesegelt, als dein Mitteldeich zwischen Lelystad und Enkhuizen noch im Bau und auch ich selbst noch nicht ganz fertig war. Mit unschuldigen 19 Jahren ist man das halt noch nicht. Damals gab’s noch keine Trennung zwischen Markermeer und IJsselmeer, schleusenlose Reisefreiheit – ohne dass wir ahnten, dass es eine solche war.
Deine Häfen waren bei weitem noch nicht so ausgebaut wie heute. Man lag zwischen den Fischern, olfaktorisch nicht immer ein Vorteil, aber man bekam durchaus auch mal die eine oder andere frische Scholle rübergereicht, die prompt zum Abend die Bordpfanne bevölkerten.
Seit dem bin ich ein paar tausend Seemeilen (nicht nur) in deinen Gewässern gesegelt und habe bis heute deine Entwicklungen miterlebt. Die auffälligste ist sicherlich die deiner Häfen, die sich heute Marinas nennen, riesengroß geworden sind und viele hundert Boote beherbergen. Die Hafenklos sind zu Sanitäranlagen mutiert, mit Schleiflack und Kacheln, Geschlechtertrennung und Duschkabinen. Sogar mit Waschmaschinen – was es dem neuzeitlich hygienisierten Skipper gestattet, seine Unnerbüx nun sogar täglich zu wechseln. Selbst die Bierrvorräte können im Hafenshop aufgefüllt werden, und morgens bekommt man dort doch tatsächlich frische Brötchen!
Und dann die Schiffe, die auf dir herumstreunen. Damals, in Zeiten der Unschuld und Ahnungslosigkeiten, als ich – entschuldige bitte die Ausdrucksweise – mein erstes Mal auf dir erleben durfte, wurde zu eben diesem Zweck eine Wibo 850 gechartert und mit 5 Mann belegt, damit’s fürs jugendliche Portemonaie bezahlbar blieb. Heute ist meine Rüm Hart mit 10 Metern ein kleines Schiff. Vierzig Füße und noch deutlich mehr sind der Normalmaßstab geworden. An Rüm Harts Heimathafen am Johan Friso Kanal zieht täglich die Karawane der wer-hat-den-Längsten-Dampfer vorbei, Sigrid und ich sitzen mit Kaffee und Keksen erstaunt an der Pier, und uns fallen die Augen aus dem Kopf. Es fühlt sich an wie viel zu große Korken für viel zu kleine Flaschen (damit sind die Gewässer gemeint, nicht die Skipper).
Das sind langsame Entwicklungen der Jahrzehnte gewesen. Andere haben sich in den letzten wenigen Jahren geradezu herbei explodiert. Nehmen wir mal die Windparks, die wie Spargelpilze aus deinen Gründen schießen, rundum, wohin man auch blickt. Die alte Illusion der grenzenlosen Weite ist nicht mehr, der Skipper und sin Fru wissen heute ganz genau, wo du zu Ende bist: dort wo die weißen, schlanken Dinger stehen, an deren Spitzen sich lustige Kirmespropeller drehen. Unzweifelhaft signalisierst du uns jetzt: ich bin ein Binnensee und nur ein mittelmäßiges Synonym für euer nautisches Fernweh.
Am allerschlimmsten aber sind die nach dir benannten Mücken. Ja ja, die gab es schon dunnemals, aber sie traten nur einmal jährlich in Erscheinung. Sie hatten eine kurze, knackige Periode, in der sie sich austoben durften. Heute muss man ganzsaisonal mit ihnen rechnen. Bei Windstille und einigermaßen warmen Temperaturen stürzen sie sich in wahren Wolken zum Sterben auf Segelboote – bevorzugt auf weiße. Sie kriechen der Crew in Augen, Ohren, Nasen und Kragen, lassen sich auf weißen Segeln zu Millionen nieder und sind unerschrocken handzahm. Heißt: man hat keine Chance, sie durch fuchteln mit was auch immer zu vertreiben. Sie scheinen in Aspik eingelegt zu sein, zumindest haben sie sich klebrige Schleimpusteln rund um ihre toten oder halbtoten Leiber zugelegt, und für diese Paste aus millionenfach sterbenden Mückenkörpern braucht es jede Menge Wasser, mit viel dynamischem Schmackes angewendet, um den Bioschlamm wieder vom Boot zu bekommen. E-kel-haft!
So, sorry, aber das alles musste mal raus.
Was sagst du, ich würde da was verwechseln? Es sei gar nicht deine Entwicklung, sondern nur eine Reaktion auf meine? Wir boat people selbst seien schließlich der Auslöser mit unserem massenhaften Auftreten? Mit unserem Energiehunger? Mit unserem schlechten Einfluss auf nicht nur deine, sondern auf die weltweite Biologie und der absurden Weigerung zu erkennen, dass wir selbst Teil derselben seien? Mit unserem Komfortwahn? Mit einer uns völlig abhanden gekommenen Demut, die wir durch Größenwahn ersetzt hätten?
Und außerdem gäbe es an deinen Gestaden sehr wohl noch die kleinen, ruhigen Plätze? Ich möge nur endlich mal die eingetretenen Pfade (Stavoren – Enkhuizen und zurück) verlassen und sie suchen und finden? Und meine neuen Bordakkus würden durchaus auch eine Nacht ohne Landstrom überleben?
Und dass dir überhaupt mein früher-war-alles-besser gewaltig auf den Keks ginge und ein sicheres Zeichen wäre, dass ich alt geworden sei?
Mein liebes IJsselmeer … ok …, so mag ich dich wieder. Lass dir bloß nix gefallen und erhalte dir deine borstige Seele – trotz aller Windspargel und Riesenmarinas, das sind schließlich nur deine Rand-Erscheinungen. Die doofen Mücken allerdings, die kannste nun wirklich stecken lassen, und ich hätte da auch einen genialen Vorschlag: Bei Mückenwetter, also warmer Windstille, werden sämtliche Windparks um dich herum aktiv eingeschaltet, so dass sie alle zusammen einen wunderbaren, mückenfreien Nordwest erzeugen, einen herrlichen Segelwind von 3 bis 4 Beaufort, das schaffen die locker. Da solltest du mal drüber nachdenken.
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Danke für diesen humorvoll-kritischen Bericht. Die Generation nach uns kennt es nicht anders, vielleicht wird es deshalb nicht wieder so schön wie dunnemals 😊😊
Sehr schöner Artikel, zutreffend, zum Nachdenken anregend …… Hoffentlich wird er von vielen Besuchern gelesen und auch so aufgefasst, wie er gemeint ist !
Wäre nicht langsam mal Zeit zur Ostsee auszuwandern?
Pssst! ;-))
durchaus ernst gemeint! Nachdem du Klaus schon als Vorhut hast …
Danke Manfred für den wunderbaren Bericht.