Vor einigen Tagen las ich folgenden Eintrag im Gästebuch:
Hallo Manfred
Gratulation zu deinem Blog, der ist wirklich informativ und unterhaltsam.
Ich bin noch in der Sondierungsphase, die Sirius hat es mir angetan. Daher ein paar Fragen: Die Sirius wirkt recht stäbig = behäbig? Aus den Tests klingt hervor, dass sie besser segelt als erwartet, aber was ist Deine Erfahrung? Wie kommt man bei Leichtwind voran? Wie ist das Verhalten bei Starkwind? Wie hat sich der Twinkiel bewährt?
Was würdest Du heute bei der Konfiguration des Bootes anders machen, was hat sich nicht bewährt und was ist in jedem Fall zu empfehlen? Bietet die 310er für 2×2 Personen ausreichend Lebensraum, oder sollte ich da schon eher an die 35er denken (mal ganz losgelöst von Preisüberlegungen)?
Gruß und Dank
Jo.
Okay, auf geht’s:
Segeleigenschaften einer Leibesfülligen: Ja, die 310 DS bringt einiges auf die Waage – 7,2 Tonnen Leergewicht, um genau zu sein. Das ist für ein Schiff von unter 10 Metern Länge viel. Ungewöhnlich viel. Andere in dieser Größenklasse wiegen die Hälfte. Was heißt das für die Segeleigenschaften? Ganz klar, sie beschleunigt deutlich langsamer als eine „normale“ 10-Meter-Yacht, setzt also Böen viel langsamer in speed um. Sie kommt bei wenig Wind langsamer in die Pötte. Gegenmaßnahme: 3 Vorsegel. Und das hat sich sehr bewährt! Bei Leichtwind unter 10 oder 12 Knoten darf der Code-0 aus dem Segelsack, der übrigens durchaus auch für eine Höhe am scheinbaren Wind von rund 50° gut ist. Aber halt auch mit „Rückenwind“ funktioniert. Der Code-0 ist nicht permanent angeschlagen, wird aufgerollt geborgen und als „Schlange“ in den Segelsack gepackt. Bedient wird er mit einer Endlosrollanlage. Die Genua kommt bei Kursen hoch am Wind und/oder bis so ca. 16-18 Knoten ungerefft zum Einsatz. Darüber hinaus die Selbstwende-Fock.
Andererseits habe ich noch keines der Vorsegel je gerefft, also nur teilentrollt. Das – da bin ich mir sehr sicher – wird eines guten Tages über die Lebensdauer der Tücher entscheiden. Der Nachteil dieser Konfiguration ist, dass das jeweils vorderste Vorsegel vor der Wende erst ein- und danach auf dem neuen Bug wieder ausgerollt werden muss. So what! Mit den Rollanlagen sehe ich das als sportliche Übung. Und bei strammen Kreuzkursen nehme ich vorn vornherein gleich die SW-Fock.
Übrigens sind mir die Seeeigenschaften noch wichtiger als die Segeleigenschaften. Und da leistet die Sirus Großes, man kann es nicht anders sagen. Durch das hohe Gewicht, die Bugform und die des Vorfußes gibt es kein Knallen unter dem Rumpf, wie ich es in Charterjahren so oft bei den üblichen Schiffen erlebt habe. Sanftes Einsetzen auch in die üble, hackige Ijsselmeerwelle, auch bei über 35 Knoten Wind und einer Wellenhöhe von anderthalb bis zwei Metern.
Leichtwind: Keine Frage, bei gaaaanz leichtem Wind von unter 5 oder 6 Knoten fahren mir vergleichbare Schiffe auf und davon. Da kann ich Code-Zeros setzen so viel ich will. Dann bin ich der Looser. Ich halte das aus.
Starkwind: Erinnert mich an einen Törn von Lemmer über Stavoren nach Warns, also außen herum, den ich bewusst bei Windstärken von über 35 Knoten (8 Bft.) gemacht habe. Ich hätte auch binnen durchgehen können, wollte es aber wissen. Der Wind kam halb bis achterlich, und ich habe mich für die Selbstwende-Fock entschieden. NUR für die Fock, kein Groß! Ging tadellos, ich hatte nie ein unsicheres Gefühl. Die Welle war extrem. Kopfsteinpflaster aus Hinkelsteinen auf dem Ijsselmeer, aber Rüm Hart stemmte sich da durch wie das Messer durch die Sahnetorte (wie komm ich da jetzt drauf? …). Allerdings mit ein bisschen Luvgierigkeit, mit der der Autopilot aber gut fertig wurde. Ich denke das nächste Mal nehme ich nur das zweifach gereffte Groß ohne Vorsegel.
Twinkiel: Tja, wie hat er sich bewährt? Zunächst der Nachteil: festfahren ist Mist, weil man mit dem üblichen Befreiungstrick, nämlich Krängung, den Tiefgang nur noch vergrößert. Der Vorteil für mein Revier (Friesland in NL) ist aber der reduzierte Tiefgang, ganz klar. Eigentlich hatten wir uns ja für die beiden Kiele entschieden, weil wir im Watt trockenfallen können wollen. Nun … wir können es immer noch wollen … wir sind nur noch nie dazu gekommen. Es passte irgendwie nie. Bezüglich der Segeleigenschaften habe ich wesentlich mehr Nachteile befürchtet, als sie sich nachher in der Praxis tatsächlich gezeigt haben. Die Höhe am Wind ist prima (hab ja erst kürzlich davon berichtet), die Abdrift hält sich mit bis so ca. maximal 5° bei schlechten Bedingungen in Grenzen. Wendewinkel von 85° sind bei relativ glatter See durchaus möglich. War eine gute Entscheidung.
Was würde ich heute anders machen?: Ganz klar, die Entscheidung für den Gori Faltpropeller mit „Overdrive“ würde ich am liebsten revidieren. Das Dingen ist einfach zu umständlich zu bedienen. Man muss tatsächlich aufstoppen und 10 Meter rückwärts fahren, damit die Flügel sich in die „Overdrive-Stellung“ umlegen. Dann allerdings dreht der Diesel bei gleicher Geschwindigkeit ca. 450 Umdrehungen weniger, verbraucht weniger und ist natürlich leiser. Nu setz aber mal rückwärts, wenn du im Konvoi aus der Schleuse kommst … Die Gutmütigkeit der nachvollgenden Skipper kennt sicher Grenzen …
Mir wurde die Bedienung bei der Kaufentscheidung auch anders erklärt: einmal kurz und während der Vorwärtsfahrt den Rückwärtsgang einlegen und das Ding schaltet sich um. DAS ist definitiv falsch.
Statt dessen hätte ich mich lieber zum nächst größeren Motor durchringen sollen. Das wäre dann ein Vierzylinder gewesen (Volvo Penta D2-40), sicher mit mehr Power und Laufruhe als der D1-30 Dreizylinder.
Ebenso die Toilette. Heute habe ich eine Lavac und bin damit super zufrieden. Sehr unkompliziert, ganz im Gegensatz zur sehr empfindlichen Jabsco. Aber auch darüber habe ich ja schon berichtet.
Der Nachteil des Decksalon-Konzeptes sind die großen Fensterflächen: sie beschlagen in den Saison-Randzeiten sehr schnell. Ich habe damals ungläubig und wohl auch dumm geschaut, als mir Torsten Schmidt Themopenscheiben anbot und nur an Isolierung gegen Sonneneinstrahlung gedacht. Heute würde ich darüber anders denken, weil wir noch kein Patentrezept dagegen gefunden haben. Das ist aber zugegebenermaßen auch ein Luxusproblem.
Eine Kleinigkeit noch: die Platzierung der Lautsprecher in die Ecken hinter den beiden Rundungen der Sitzgruppe war definitiv falsch. Diese beiden Ecken sind selbstverständlich DIE Kuschelecken, wenn man zu zweit unterwegs ist. Dann aber hat man die speaker direkt am Ohr. Blöd!
Lebensraum: Wenn wir ständig zu viert unterwegs wären, würde ich(!) – wenn das Geld dabei keine Rolle spielte – über die 35 nachdenken. Die 310 ist hervorragend für ein bis drei Personen geeignet, wir haben sie auf der Jungfernfahrt auch schon zu fünft gesegelt. Nur bitte nicht dauerhaft. AAABER: ich bin in diesen Dingen nicht der Maßstab. Weil verwöhnt, weil ich für mich selbst einen gewissen Raumbedarf habe und weil mein eigener „umbauter Raum“ nicht gerade von der zarten Sorte ist. Dieser Punkt unterliegt wohl mehr als andere dem persönlichen Geschmack.
Immer wieder: 1. das Decksalon-Konzept. Gibt ein sicheres Gefühl, wenn man sich dahinter verstecken kann, wenn man nach vorn muss und die Griffleiste auf dem Dach in Oberschenkelhöhe hat und wenn man bei Scheißwetter drin sitzt und (fast mehr als draußen) den Überblick behält. Nie wieder ein Kellerschiff! Übrigens hat sich als unerwarteter Vorteil die Positionierung der Lifelines mittig auf dem Salondach erwiesen. Das geht bei einer normalen Yacht mit Sprayhood schlicht nicht. Ich kann mich bereits vor dem Verlassen des Cockpits einpicken und KANN nicht über Bord gehen, noch nicht einmal über die Reling!
2. der leistungsfähige Autopilot. Unabdingbar für’s Einhandsegeln. Wichtig dabei: kein Pinnenpilot, sondern eine Unter-Deck-Installation. Meiner ist ausgelegt für ein Bootsgewicht von 15 Tonnen. Das schafft Reserve.
3. die feste Reling. Kurz und gut: nie wieder Draht!
4. unsere „Schneewittchen-Sitze“ achtern. Der heiß begehrte Lieblingsplatz aller Crewmitglieder.
Was ist überflüssig? Der Ausbaumer. Ist senkrechtvor dem Mast angebracht. Eigentlich in einem patenten Schlitten, der den Einsatz erleichtert. Tatsache ist aber, dass ich ihn höchst selten nutze. Ist mir zu sperrig und zu schwer. Vielleicht wäre einer aus Kohlefaser Senioren-geeigneter.
Was fehlt mir? Zusätzliche, freie Organizer (Umlenkrollen) und Klemmen auf dem Kajütdach. Die vorhandenen waren von Beginn an vollständig belegt, und heute würde ich gern noch eine Dirk riggen und denke über eine Baumbremse nach. Beide sollten vom Cockpit aus bedienbar sein. Dazu fehlen mir jetzt aber freie Beschläge auf dem Dach.
Mein persönliches Fazit: Ich will segeln. Wenn ich schnell segeln wollte, würde ich mir eine andere Yacht kaufen. Dennoch bin ich mit den Segeleigenschaften meiner Rüm Hart sehr zufrieden. Sie sind besser, als ich sie erwartet hatte und für meinen Segelstil das exakt Richtige. Noch glücklicher aber bin ich mit den Seeeigenschaften. Sehr vertrauenserweckend!
Ich will aber nicht nur sicher segeln, ich will auch eine gewisse Sicherheit bei der Investition in den segelnden Untersatz gewahrt haben. Und nach wie vor habe ich ein gutes Gefühl, wenn ich an den (traurigen) Tag denke, an dem ich Rüm Hart einmal weiter verkaufen muss.
Kürzlich habe ich über den Einbau eines Plotters und später über seine „Entwässerung“ berichtet. Dafür waren kleine „Kernbohrungen“ notwendig. Und wenn dir anschließend zentimeterdicke Kernscheiben aus dem Topfbohrer entgegenfallen, dann weißt du, dass Materialverschwendung manchmal auch was Gutes haben kann.