Einhand-Segeln

„… Die Stimmung, mit der ich mein Schiff zum ersten Mal allein segle, ist unbeschreiblich: euphorisch, sentimental, happy, angespannt, ungläubig. Ich genieße jede Schiffsbewegung, jeden Atemzug. Dazu dann noch ein wahnsinniger Sonnenuntergang. Glutroter Himmel. Als die Sonne durch die Horizontlinie halbiert wird, passiere ich die Hafeneinfahrt…“

Zitat aus meinem Logbuch. Geschrieben in unbeholfener Prosa am ersten Abend des ersten Einhandtörns mit Rüm Hart. Noch ganz unter Einfluss des überwältigendem Erlebnisses und offensichtlich immer noch Adrenalin-geschwängert. Jetzt, am zweiten Adventssonntag, sitze ich mit dem Läppi am Fenster, schaue dem Winter zu, schreibe mich zurück an Bord. Die Stimmung von vor zwei Monaten ist mir noch gut gegenwärtig, immer noch fühlbar. Von Beginn an war Rüm Hart auch für das Alleinsegeln vorgesehen. Was ich 2009 zum ersten Mal und damals noch mit einem Charterboot ausprobiert hatte, sollte auf jeden Fall auch mit dem so plötzlich in unser Leben getretenen eigenen Boot geschehen: alleine, ganz ohne Crew segeln. Vorübergehend, immer mal wieder, aber nicht immer.

Im richtigen Leben gelte ich durchaus als geselliger Mensch, als soziales Wesen. Und tatsächlich bin ich gern in Gemeinschaft. Kontakte mit anderen Menschen sind mir wichtig. Ich bin alles andere als ein Eigenbrötler. Einerseits. Andererseits kann ich sehr gut auch mal ein Wochenende allein zuhaus verbringen. Noch besser kann ich eine befristete Zeit mutterseelenallein segeln. Ich kann es nicht nur, ich brauche es hin und wieder. Warum? Hm … Versuch einer Antwort.

Segeln mit Crew hat zwei Aspekte: Segeln und Crew. Neben dem nautischen Geschehen stehen die sozialen Belange im Focus. Natürlich kann man die beiden Aspekte Segeln und Crew nicht isoliert voneinander betrachten. Nicht an Bord. Zwischen Nautik und Soziologie gibt es eine Schnittmenge. Sie beeinflussen sich gegenseitig. Wenn Segeln mal nicht schön ist, weil vielleicht die Bedingungen, unter denen es stattfindet, nicht karibisch, sondern nordisch sind, hat das Einflüsse auf die Stimmung der Bordcrew. Umgekehrt funktioniert es natürlich auch. Und selbstverständlich geht’s auch nicht immer nur um negative Beeinflussungen – war nur ein Beispiel. Aber die Wechselbeziehungen machen das Bordleben zumindest komplex. Manchmal auch kompliziert. Gerade unter engen Bordbedingungen mit wenig bis gar keinen Ausweichmöglichkeiten ist das eine Risikomaximierung. Gegenmaßnahme: sorgfältige Auswahl der Crewmitglieder.

Segeln ohne Crew hat nur einen Aspekt: Segeln. Punkt. Crew findet nicht statt. Crew findet sowieso nur im Plural statt. Nur ich wäre Crew, und ich bin nicht kompliziert. Nicht, wenn ich allein bin. Bin ich allein, gibt es keine Trennung zwischen dem Geschehen, dem Boot und mir. Mit dieser Erfahrung versteht man, warum die meisten Einhand-Segler in ihren Reiseberichten von ‚wir‘ reden. Sie und das Schiff. Eine Einheit.

Alleinsein an Bord erzwingt Klarheit. Klarheit im Denken und Handeln, im Empfinden und Reagieren. Konzentration auf den Augenblick ist zwar erforderlich, macht aber keine Mühe, bedeutet geradezu hedonistische Erholung von allem Komplexen und Kompliziertem des Alltags. Katharsis an Bord.

Ich gebe es zu, das ist die idealistisch-theoretische, vielleicht auch ein bisschen zu sehr philosophische Betrachtung. Aber genau so habe ich das oben „besungene“ Wochenende erlebt und in Erinnerung. Na gut, die Bedingungen stimmten. Das Wetter war zwar kalt, aber ansonsten ideal. Es war Oktober, Saisonende. Die Häfen und die Kneipen waren nicht mehr so voll und die Menschen umso freundlicher. Das erste Mal hat dabei sicher auch eine Rolle gespielt – das kennt man ja.

Alleine segeln bedeutet ganz pragmatisch und zunächst erst mal Entscheidungen alleine zu treffen. Niemanden zu haben, bei dem man sich Rückversicherung und Bestätigung einholen könnte. Überraschenderweise macht’s das einfacher. Es bedeutet fehlende Ab- und Zustimmungszwänge. Aber … es erfordert auch Verzicht. Verzicht, das Schöne teilen zu können. Was manchmal schwer fällt, und ich denke gerade an den eingangs beschriebenen Abend mit brennendem Himmel beim Sonnenuntergang. Wie gern hätte ich Sigrid dabei gehabt! In diesem Augenblick.

Langeweile empfinde ich nicht als Risiko für das Einhand-Segeln. Solange die Betonung auf ‚Segeln‘ liegt. Abends im Hafen ist das was Anderes. Auch diese Geschichte gehört dazu: Bei meinem ersten Solo-Törn 2009 auf dem Ijsselmeer habe ich die Abende (nach der Scholle oder dem Schnitzel in der Hafenkneipe) an Bord mit Logbuch schreiben, Lesen und Musik hören verbracht. Dazu ein leckeres Gläschen Rotwein, vielleicht zwei. Höchstens! Korken wieder auf die Flasche, ab in die Koje. Aber, am dritten oder vierten Abend waren es auf einmal drei oder vier Gläschen. Hoppla, so kann man einsame Abende nicht verarbeiten. Nicht auf Dauer. Für den Rest der achttägigen Reise habe ich die Notbremse gezogen und den Getränkeverbrauch wieder normalisiert. Den Rythmus während des täglichen Segelns zu finden ist einfach. Das gelang mir von Beginn an. Auch im Hafen im Rythmus zu bleiben, in der eigenen Zufriedenheit, in der Konzentration auf sich selbst, das gelang zunehmend erst in der zweiten Wochenhälfte. Sich einen antüdeln macht in Gemeinschaft übrigens deutlich mehr Spaß.

Bleiben wir noch mal kurz beim Segeln selbst. Rüm Hart macht es mir da einfach. Unser Schiffchen ist dafür bestens ausgerüstet. Nämlich mit Pinnensteuerung, einem leistungsfähigen Autopiloten und einer Vorsegelkonfiguration, die es leicht macht, die Segel den vorherrschenden Windbedingungen anzupassen. Als des Einhandseglers wichtigsten Helfer würde ich den Autopiloten bezeichnen. Man kann nicht den ganzen Tag Ruder gehen, d. h. an der Pinne sitzen. Erstens wäre das zu langweilig, zweitens zu anstrengend und ermüdend. Und drittens gibt es mehr zu tun, als nur mit dem Ruder in der Hand die Richtung zu bestimmen. Allein die Navigation erfordert häufige Anwesenheit am Kartentisch. Ich schätze, dass ich zu 80 % unter Autopilot unterwegs bin. Der steuert exakter, als ich das dauerhaft könnte, er langweilt sich dabei nicht und pinkeln muss er auch nicht zwischendurch. Letztlich hat sich auch und gerade beim Einhand-Segeln das Deckssalon-Konzept sehr bewährt. Man kann nämlich mal zwecks Kartenarbeit, oder einfach auch nur um sich ne Cola zu holen, unter Deck verschwinden, ohne die Übersicht zu verlieren. Sowieso kann ich – zugegebenermaßen nicht ganz ohne Stolz – zusammenfassen, dass wir bei unserem Schiff sehr vieles richtig entschieden haben.

Einhandsegeln11Man kann nicht über’s Einhand-Segeln schreiben, ohne an die großen Solosegler der Zeitgeschichte zu denken. Ich persönlich denke dabei zu allererst an Wilfried Erdmann. Der erste Deutsche, der die Welt zweimal nonstop und allein umrundet hat. Das zweite Mal – es war 2000/2001 – sogar entgegengesetzt. Soll heißen, gegen die Hauptströmungen von Wind und Wasser. Eine Leistung, die vor ihm nur sehr wenige, genau vier Erdenbürger vollbracht haben. Und von den wenigen war er meines Wissens der älteste. Während dieser Reise ist er 60 Jahre alt geworden. Ich habe Wilfried Erdmann eine Mail geschrieben und ihn gebeten, mir das eine oder andere Foto zu Verfügung zu stellen. Ich möchte in einem der nächsten Beiträge von ihm erzählen. Bin gespannt ob und was er antwortet.

Zum Schluss Danke an alle Segler, zum Teil sehr langjährige Solisten an Bord, die mir Ihre kurzen, aber sehr treffenden Statements zum Thema Einhand-Segeln überlassen haben und die ich hier in Form der bunten Schilder zum Anklicken und in zufälliger Verteilung eingebaut habe.