„Mooi“- schön. Mehr sagte er nicht. Musste er auch nicht, seine Mimik erzählte den Rest. Mit einer Mischung aus Belustigung und Anerkennung sah er Bernd zu, der sich zu seinen Füßen über die Spundwandkante stemmte. Für einen Augenblick war Bernd ob dieser vielsagenden Einsilbigkeit irritiert und wusste nicht, sollte er sich zuerst seinem Zuschauer zuwenden, oder seinen Kratzern, die er sich an der eisernen und deshalb rostigen Wand auf der ganzen nackten Brust eingehandelt hatte. Oder dem Schiff, das er eben mit kühnem Sprung verlassen hatte (um seinen Arsch zu retten, wie er es später treffend beschreiben sollte). Der alte Holländer schmunzelte in sich hinein. Er saß mit übereinander geschlagenen Beinen und sehr entspannt auf der Parkband in der Sonne, direkt an der Schleuse Kornwerdersand und hatte unser Anlegemanöver zwei Meter unter ihm beobachtet. Und die artistische Einlage unseres Vorleinen-Mannes, der beim Leinewerfen zuviel Vorlage bekommen hatte, sich dagegen entschied, ins Wasser zu fallen und statt dessen den Cliffhanger an der Spundwand gab.
Diese knappe Rhetorik, bewegungslose Gestik und minimalistische Mimik eines alten Holländers ist in meinem Hirn als typisch für die Holländer eingebrannt. Falsch, vereinfachend, verallgemeinernd und Klischeehaft – aber abgespeichert.
Dabei ist allein schon der Begriff ‚Holländer‘ zu fünf Sechsteln – sagen wir – unkomplett. Denn ‚Holland‘ führen nur zwei von zwölf Provinzen der gesamten Niederlande als Bestandteil ihres Namens: Noord Holland und Zuid Holland. Die zukünftige Heimat von Rüm Hart – Stavoren – liegt in der Provinz Friesland. Alle zwölf Provinzen zusammen bilden die Niederlande. Und die ist auch nur ein Teil des kompletten Königsreichs der Niederlande, denn dazu gehören auch noch Provinzen in Übersee. Zum Beispiel die niederländischen Antillen. Die haben sie sich früher mal eingeheimst und bis heute nicht wieder hergegeben.
Eine Besonderheit der Provinz Friesland ist die doppelte Sprache. Neben Niederländisch wird dort auch noch Friesisch gesprochen, und wenn man als Deutscher vielleicht noch eine Chance hat, sich in das Niederländisch reinzuhören – vergiss es beim Friesischen. Die Friesen sind ein nettes Volk und verteidigen ihre Sprache mit sympathischer Sturheit. Alle Ortsschilder sind zweisprachig: Niederländisch und Friesisch. Ganz und gar nicht zu dieser wohltuenden Dickköpfigkeit passt ihre niedliche Provinzflagge mit diesen pummeligen Herzen in frischen und lebhaften Farben. Übrigens ist der offiziell im Königreich geführte Name für Friesland nicht Friesland, sondern Fryslan. Friesisch halt.
Werfen wir noch einen Blick aufs Ijsselmeer. Auch hier: nur zur Hälfte richtig, denn das was wir gemeinhin als Ijsselmeer bezeichnen, heißt nur im Norden so. Der südliche Teil heißt Markermeer. Zumindest seit 1976, als der Mitteldeich (Houtribdijk) gebaut wurde, und fortan die beiden „Meere“ trennte. Am westlichen Ende des Houtribdijks liegt übrigens das hübsche Städchen Enkhuizen mit seinem Zuiderzee-Museum. Es zeigt in sehr lebendiger Weise und in Form eines Museumsdorfes das Leben zu Zeiten, als das Ijsselmeer noch ein nicht abgeteilter Teil der Nordsee war. Sehr sehenswert!
Überhaupt die Deiche. Sie stehen bei mir als Bild für das moderne Holl… sorry … für die modernen Niederlande. Nichts ist so korrekt wie dieser Begriff, denn ohne Deiche stünden rund ein Viertel der Niederlande unter Wasser, weil sie schlicht unter dem Meeresspiegel liegen. Die Karte rechts zeigt die Niederlande ohne Deiche – im Konjunktiv sozusagen. Vorteil: es wäre nicht so weit zum Boot …
Wasserbauwerke aller Art liegen den Niederländern, das ist ihr Hobby – ihr existenzielles Hobby. Da fährst du gemächlich über die Provinzstraße durch die flache Landschaft und hast dich seelisch auf sowieso-Wartezeiten vor der nächsten Klappbrücke eingestellt. Denkste, die Brücke ist ein Tunnel geworden, und an der Stelle wo du gerade eben noch (also letztes Jahr) den Johan-Friso-Kanal überquert hast, fahren dir jetzt die Schiffe über dem Kopf her. Wo wir in Deutschland erstmal die nächsten zehn Jahre bräuchten, um die vielen Bürgerinitiativen abzuarbeiten, haben die das Ding längst fertig.
Das bringt uns dem nächsten Thema näher: die Deutschen in den Niederlanden – aber dafür muss ich mich erst sammeln.