Dass der nächste Reiterseglertörn erst 2005, also nach drei Jahren stattfand, lag an mir. Ansonsten hatten wir uns einen Zweijahresrythmus versprochen und dann in Zukunft auch eingehalten. Aber manchmal kommen halt Dinge dazwischen, Einladungen zu anderen Segeltörns zum Beispiel. Nach der Begeisterung, die der erste Törn bei allen nachhaltig hinterlassen hatte, war nun die organisatorische Herausforderung für mich ungleich höher. Ich musste ein Schiff finden, dass zur gleichzeitigen Beherbergung von sechs Männern samt der dazugehörigen sperrigen Hardware geeignet schien. ‚Sperrige Hardware‘? Erklärungsbedürftig, schon klar. Aber nicht jetzt, beim nächsten Mal.
Wir fanden unser Schiff beim gleichen Vercharterer in Heeg, der uns auch bereits 2002 mit ‚Josephine‘ versorgt hatte. So kamen wir an ‚Zwarte Tijger‘, ein schwarzes Plattbodenschiff von über 15 m Länge (Rumpflänge 11,50 m) und 15 Tonnen Gewicht. So ziemlich das größte, was ich bislang gesegelt hatte. Die ‚Zwarte Tijger‘ war in Privatbesitz und in einem sehr guten Pflegezustand. Sehr häufig werden von den Charterfirmen nicht nur deren eigene Schiffe vermietet, sondern auch Boote von Privateignern, für die die Vercharterer dann als Agenten auftreten und die komplette Organisation und Pflege übernehmen. So auch hier. Das war uns aber alles egal, wir hatten ein tolles und geräumiges Schiff!
So ging es los. Nach mehreren Tagen Segeln auf dem Ijsselmeer und im Wattenmeer liefen wir irgendwann in Medemblik ein. Und wie man das so macht, man tuckert langsam durch den Hafen und sucht nach einem geeigneten Liegeplatz für unsere Wuchtbrumme. Solch ein Schiff wie wir es hatten, ist in Holland alles andere als selten und löst nicht gerade einen Menschenauflauf aus. Und so fiel es uns auf, dass wir offensichtlich bei einem Paar jung-mittleren Alters besondere Aufmerksamkeit erregten. Vor allem das Mädel wurde sichtbar nervös. Ok – sechs Männer an Bord, da schaut man ja schon mal hin … Aber, wir hatten den Bauch umsonst eingezogen, die meinte nicht uns. Die war fasziniert von ‚Zwarte Tijger‘. Also ausatmen, den Testosteronspiegel erstmal wieder ablassen und sich auf’s Anlegen konzentrieren. Als wir fest lagen und dabei waren, das Boot zu klarieren, kamen die Beiden näher und standen schließlich am Schiff. Ich sprach sie an und es enstand eine Unterhaltung in dieser lustigen Mischsprache aus Niederländisch, Deutsch, Plattdeutsch und Englisch. Und dieses Gespräch … ja, wie soll ich es sagen? … gebar eine Geschichte, die uns berührte und bei unseren Besuchern offensichtlich alte Emotionen wiedererweckte.
Das Mädel hieß Jacqueline, war höflich geschätzt in den Vierzigern und kannte dieses Schiff. Das war uns eigentlich schon beim Einlaufen klar geworden. Sie kannte es sogar sehr gut, denn es war das Schiff ihres Vaters gewesen, auf dem sie aufgewachsen war und mit ihren Eltern lange und weite Reisen unternommen hatte. Es hatte ihr Geborgenheit, Freiheit, Nähe zu den Eltern und zu sich selbst gegeben. Auf ihm und mit dem Boot hatte sie nach eigener Erzählung viele glückliche Jahre verbracht. Sie konnte uns viele Details im Boot zeigen und erklären, die wir noch gar nicht wahrgenommen hatten. Sie war emotional sehr betroffen, sehr still, dann wieder redselig, aufgewühlt. Wir waren gerührt. Dann wurde uns klar, dass es nicht nur die alten Erinnerungen waren, denn dann erzählte sie das Ende ihrer Geschichte mit der ‚Zwarte Tijger‘. Und das Ende gab es für sie erst jetzt, hier und heute. Vor nunmehr 25 Jahren war Zwarte Tijger von heute auf morgen nicht mehr da. Weg, ausgelöscht, aus ihrem Leben verschwunden. Ihr Vater hatte sie verkauft. Sie erzählte uns, dass sie damals sehr traurig gewesen war und dass es für sie vor allem deshalb so schwer war, weil sie keine Gelegenheit hatte, von Zwarte Tijger Abschied zu nehmen. Als junge Frau hat sie sich dann auf die Suche gemacht, aber es hat dann nochmal 20 Jahre gedauert bis sie fündig wurde. Als die beiden von Bord gingen, sah ich ihnen nach. Mehrfach drehten sie sich um auf dem Steg …
Ich hatte dann noch einige Zeit lang E-Mail-Austausch mit Jacqueline. Sie schrieb auf Niederländisch, ich antwortete auf Deutsch. Wir tauschten Fotos aus, und so kam ich tatsächlich an Bilder aus der Bauphase von Zwarte Tijger. Witzigerweise kam auch uns das Schiff abhanden. Nein, es wurde nicht geklaut. Aber als wir im folgenden Jahr wieder anfingen, den nächsten Törn vorzubereiten, habe ich mich erneut nach Zwarte Tijger erkundigt. Und siehe da, sie war nicht mehr in der Vercharterung, war erneut verkauft worden und keiner wusste wohin oder an wen. Auch Jacqueline nicht.
Seit dem halte ich die Augen offen, wenn ich in Holland unterwegs bin. Es war ein tolles Schiff, ich würd es gern noch einmal wiedertreffen.
P.S.: Sollte irgendwer aus der großen weiten Netzwelt mir etwas über den Verbleib von Zwarte Tijger sagen können, wäre ich sehr dankbar für eine Nachricht.
Hallo Manfred,
habe heute Abend dein Blog gefunden und mich „festgelesen“ – klasse, vielen Dank! Macht Spaß.
Falls du noch den Zwarte Tijger suchst, ich glaube er steht hier zum Verkauf:
http://www.dirkblom.nl/index-main.asp?file=/brokerage.asp?id=1085
Mast und Schotbruch
Ja, danke für den Hinweis. Ich weiß, dass der Zwarte Tijger zum Verkauf steht. Aber ich hab ja schon nen Schiff … ;-))
Grüße, Manfred